© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Blick in die Medien
Schluß mit der Selbstzensur
Tobias Dahlbrügge

Die Deutschen lesen wieder zwischen den Zeilen. Jeder weiß, was los war, wenn „Jugendliche“ ein einzelnes Opfer ins Koma getrampelt haben. Die Journalisten folgen mit ihrer Vernebelung der Vorgabe des Presserates, die Nationalität von Kriminellen nicht zu nennen. 

Durch Köln gewann die Debatte um die Richtlinie 12.1 des Pressekodex wieder an Aktualität. Zahlreiche Medien hatten die Araber in Köln bewußt unscharf als „Männer“ beschrieben. Doch das Internet macht solche Vertuschungsversuche absurd. Darum fordern nun einige Medien, wie das Main-Echo, die Selbstzensur aufzugeben, weil sie dem „Lügenpresse“-Vorwurf Vorschub leiste. Die Redakteure berufen sich auf den Soziologieprofessor Horst Pöttker. Der Medienwissenschaftler forderte bereits 2013 die Abschaffung der Richtlinie. 

„Die Richtlinie gründet auf historischen Umständen, die sich geändert haben.“ 

Pöttker schrieb: „Der Pressekodex muß geändert werden: Journalisten sollten die Herkunft von Straftätern nennen dürfen.“ Er argumentierte mit der Geschichte der Selbstzensur-Vorgabe. Diese entstand 1971 auf „Anregung“ des Verbandes der Deutsch-Amerikanischen Clubs. Ziel war, „bei Zwischenfällen mit US-Soldaten darauf zu verzichten, die Rassenzugehörigkeit ohne zwingend sachbezogenen Anlaß zu erwähnen.“ Ab 1993 wurde dies auf Druck von Sinti und Roma auf alle Minderheiten ausgeweitet.

Pöttker bescheinigt der Richtlinie eine „pädagogische und paternalistische Auffassung“ und fordert ihre Abschaffung: „Die Richtlinie gründet auf historischen Umständen, die sich geändert haben. Sie ist ein konkretes Formulierungsverbot und gehört abgeschafft.“ Der Soziologe erkannte, „daß die Richtlinie das Publikum für dümmer hält, als es ist. Untersuchungen zeigen, daß Leser es merken, wenn die Nationalität eines Täters gezielt weggelassen wird. Dies führt zu einem Vertrauensverlust.“ 

Zudem nimmt die Selbstzensur-Vorschrift den Journalisten nicht ernst. Mit dem Anspruch, unerschrocken und umfassend zu berichten, ist sie nicht vereinbar.