© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Aufrichtigkeit, sagt der irische Dramatiker George Bernard Shaw, ist der Gipfel guter Manieren. Ein Katzenjammer nur, daß letztere heutzutage so außer Kurs stehen.

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Nun, das mag sein, auch wenn Marcus Tullius Cicero, auf dessen „Dum spiro, spero“ (Solange ich atme, hoffe ich) das Sprichwort wohl zurückgeht, sich genauer auf dem Friedhof der begrabenen Hoffnungen hätte umsehen sollen, bevor er seine „Briefe an Atticus“ schrieb. Nietzsche jedenfalls wußte es besser. Nach Auffassung des deutschen Philosophen ist die Hoffnung „in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert“.


Spaziergang I: „Als ich auf halbem Weg stand unsers Lebens, / Fand ich mich einst in einem dunklen Walde, / Weil ich vom rechten Weg verirrt mich hatte; / Gar hart zu sagen ist’s, wie er gewesen, / Der wilde Wald, so rauh und dicht verwachsen, / Daß beim Gedanken sich die Furcht erneuet; / So herb, daß herber kaum der Tod mir schiene.“ (Dante, Göttliche Komödie, Die Hölle, Erster Gesang, übersetzt von Philalethes)


In vino veritas. Alkaios von Lesbos muß sternhagelvoll und nicht bei Sinnen gewesen sein, als er diese Sentenz in die Welt setzte.


Spaziergang II: „Der Wirbelwind der Hölle, nimmer ruhend, / Führt jähen Zuges mit sich fort die Geister, / Zur Qual umher sie schwingend und sie schüttelnd. (…) So führt die Windsbraut hier die schlimmen Geister / Hierhin und dorthin, aufwärts und hernieder, / Und keine Hoffnung kann sie jemals trösten, / Auf Ruhe nicht, ja nicht auf mindres Leiden.“ (Dante, Göttliche Komödie, Die Hölle, Fünfter Gesang, übersetzt von Philalethes)


Es sind nicht immer die großen offensichtlichen Lügen, die es einem schwermachen. Damit läßt sich umgehen. Es sind die kleinen versteckten, gut ausgedachten und glaubwürdig vorgetragenen Schwindeleien, die sich nur schleichend als solche offenbaren. Sie untergraben das Fundament, höhlen es stetig aus und bringen die Kathedrale des Vertrauens zum Einsturz.


Grabinschrift: Poena fuit vita, requies mihi morte parata est – Die Strafe war das Leben, der Tod hat mir Erlösung gebracht.


Nicht viel, sondern wahr soll man reden, postuliert der vorsokratische Philosoph Demokrit. Heutzutage wird viel zuviel geredet und zuwenig wahr.