© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Nichts hat mit nichts zu tun
Publizistik: Auch Feministinnen relativieren die sexuelle Gewalt gegen Frauen durch Migranten
Birgit Kelle

Auch fast drei Wochen nach den massiven sexuellen Übergriffen auf Frauen in Köln und vielen anderen Städten scheuen sich zahlreiche Medien, die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit für ihre Zuschauer und Leser aufzubereiten. Obwohl die Zeugenaussagen der Frauen einheitlich sind, diskutieren manche nach wie vor darüber, ob es richtig war, den Migrations- oder gar den Flüchtlingsstatus der Täter zu nennen oder das islamische Frauenbild zu thematisieren. Was nicht zum Weltbild paßt, wird lieber munter umgedeutet. 

Da sich Fakten aber so schlecht wegreden lassen, wird der Kontext verändert. Köln ist nun überall, und es gibt einen neuen Schuldigen für die Kölner Horrornacht: den deutschen weißen Mann. Oder, um es mit den Worten des Hamburger Grünen-Vize Michael Gwosdz zu sagen: „Alle Männer sind potentielle Vergewaltiger, ich auch.“ Damit reiht er sich ein bei den Relativierern der Nation, die in der Silvesternacht von Köln nicht etwa ein außergewöhnliches Ereignis sehen wollen, das man bislang eher vom Tahrir-Platz in Kairo kannte. Stattdessen fabuliert man gerne über die tägliche „Rape Culture“, also die Vergewaltigungskultur, für die unser Land anscheinend bekannt sein soll.

Aus dieser Perspektive war Köln also nichts Besonderes. Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen, das ist nur Alltag in Deutschland. So singt der Chor linker Publizisten, tragischerweise singen vor allem Frauenstimmen mit. Publizistinnen, die in der Empörung rund um die Übergriffe in Köln und die Benennung der Täter als Männer mit Migrationshintergrund nicht etwa eine bislang nicht dagewesene Form von sexualisierter Gewalt gegen Frauen in Deutschland entdecken, sondern stattdessen den Rassismus der Deutschen.

So soll der deutsche weiße Mann angeblich nur deswegen so aufgebracht sein, daß schwarze Männer seine Frauen begrapschten, weil er das gerne als Exklusivrecht für sich selbst haben will. Diese irren Gedankenwindungen finden sich zum Beispiel bei Spiegel-Online- Nachwuchstalent Margarete Stokowski. In die gleiche Kerbe schlägt die Publizistin Antje Schrupp, das „rassistische Narrativ ‘schwarzer Mann vergewaltigt weiße Frau’“ habe volle Kanne durchgeschlagen. Der „unterschwellige Rassismus“ drohe jetzt in „gesellschaftlich legitimierten Rassismus umzuschlagen“. Aha.

Allerorten werden wahlweise verharmlosende „Antanztricks“ von Taschendieben oder Vergleiche mit dem Kölner Karneval oder dem Oktoberfest bemüht, wo sich angeblich nichts anderes jährlich abspielt, aber angeblich unterschlagen wird, weil es sich bei den Tätern ja bloß um deutsche weiße Männer handelt. Da hilft es auch nicht, wenn die Münchner Polizei Fakten dagegenhält. Beim letzten Oktoberfest mit seinen fast sechs Millionen Besuchern kam es in zwei Wochen nur zu 20 Anzeigen wegen sexueller Übergriffen. Das schafften die Täter von Köln mit 1.000 Mann in nur einer Stunde, inzwischen gibt es über 600 Anzeigen allein in Köln. Die Verblendeten diskutieren dennoch lieber über die „Rape Culture“ des deutschen Mannes.

Auch die taz bleibt sich treu in ihrem alten Schema. Die Autorin Hengameh Yaghoobifarah sieht eine „plättende Ignoranz“ gegenüber unserer alltäglichen „Vergewaltigungskultur“, die nun durch Rassismus von den falschen Vertreterinnen gebrochen wird. Die Falschen, das sind etwa Ex-Familienministerin Kristina Schröder, aber auch Erika Steinbach, Frauke Petry und die Autorin selbst, die dem imaginären „Feminismus von rechts“-Club“ zugeschrieben werden.

Um sich von den bösen rechten Frauen abzugrenzen, hat der versammelte Netzfeminismus schnell eine neue Kampagne gegen Sexismus aus dem Boden gestampft. Der #aufschrei taugte nicht mehr, wenn die „Falschen“ mitspielen. Gutmenschinnen prangern jetzt in der Kampagne „#ausnahmslos“ den täglichen Sexismus an. Dort werden politisch korrekt ausnahmslos alle Männer unter Generalverdacht gestellt und nicht nur Männer mit Migrationshintergrund. Ein enormer Fortschritt für die Menschheit.

Während Freitag-Herausgeber Jakob Augstein uns Damen ermahnt, wir sollten uns wegen so ein bißchen Köln mal nicht so anstellen, Zitat: „Ein paar grapschende Ausländer und schon reißt bei uns der Firnis der Zivilisation“, bescheren uns ausgerechnet zwei Frauen im Berliner Tagesspiegel den Höhepunkt der Widerwärtigkeiten. Die Theorie von Dagmar Dehmer und Andrea Dernbach besagt, auf der Kölner Domplatte habe es sich um ein „symbolisches Gespräch unter Männern“ gehandelt, und zwar zwischen dem deutschen und dem Migranten ohne Perspektive. 

Ob das Titulieren als „Schlampe“ und „Hure“, als auch die Wortfetzen „Ficki-Ficki“ ein echtes „Gespräch“ darstellten, bleibt offen, beteiligt waren daran aber eindeutig eher Frauen und Migranten. Sie handeln in ihrem Beitrag noch schnell die obligatorische „Urangst des älteren weißen Mannes – die nehmen uns unsere Frauen weg“ ab, und kommen dann zum Höhepunkt: Womöglich seien manche der Frauen gar keine Opfer, sondern bloß Frauen, die aus politischer Überzeugung der Meinung waren, daß diese Täter mit Migrationshintergrund oder Flüchtlinge abgeschoben gehörten, was man durch Anzeigen beschleunigen könnte. Hier wird offen der durch nichts bewiesene Verdacht gestreut, die jungen Frauen hätten falsche Anzeigen bei der Polizei erstattet, um Migranten in ein schlechtes Licht zu setzen. Alles nur erfunden, die sind gar keine Opfer, sondern Rassistinnen.

Fassen wir zusammen: Köln hat nichts mit der Flüchtlingswelle zu tun, nichts mit Menschen mit Migrationshintergrund und um Himmelswillen nichts mit dem Islam oder seinem Frauenbild. Alle Männer sind Schweine, ganz besonders der weiße deutsche Mann. Nicht nur die Männer sind Rassisten, sondern auch manche Frauen. 

Stellt sich nur eine Frage: Wenn die Taten dieser Migranten auf der Kölner Domplatte nichts mit ihrem Aufwachsen in einem patriarchalen Gesellschaftssystem zu tun haben, das Frauen konsequent unterdrückt; und auch nichts mit dem Islam zu tun haben, der in den Herkunftsländern dieser Männer das Frauenbild prägt; wenn also aus linksfeministischer Sicht Herkunft, Kultur und Religion rein gar nichts mit dem Verhalten dieser Männer zu tun haben – wieso arbeiten sich die gleichen Damen am patriarchal geprägten System der christlichen Kultur in Deutschland ab, das sie ständig mit ihrem Gender-Kult aufbrechen wollen?

Warum ist vor allem die katholische Kirche immer Hauptschuldige an der Unterdrückung der Frau? Anti-emanzipatorisch, rückwärtsgewandt, chauvinistisch, diskriminierend? Wir haben doch gerade gelernt, patriarchales, frauenunterdrückendes Verhalten habe nichts mit Kultur, Herkunft und vor allem rein gar nichts mit Religion zu tun. 

Foto: Die Performance-Künstlerin Milo Moire protestiert am 8. Januar 2016 vor dem Kölner Dom nackt gegen sexuelle Übergriffe auf Frauen