© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Mythen um den Freiheitskämpfer enträtseln
Subhas Chandra Bose: Um das Schicksal des Gandhi-Widersachers ranken sich zahlreiche Gerüchte / Bis dato gesperrte Akten sollen Klarheit bringen
Christian Vollradt

Soviel steht fest: Subhas Chandra Bose lebt nicht mehr. Andernfalls würde der indische Freiheitskämpfer und Nationalheld an diesem Samstag seinen 119. Geburtstag feiern können. Um den Tod des „Netaji“ (Hindustani für „verehrter Führer“) jedoch ranken sich zahlreiche Gerüchte. Noch immer gibt es in Indien Stimmen, die bezweifeln, Bose sei auf seinem Flug in die Mandschurei bei einer Zwischenlandung in Taipeh abgestürzt und infolge seiner schweren Verbrennungen am 18. August 1945 verstorben. 

Die Politikerin Mamata Banerjee, „Chief Minister“ des indischen Bundesstaates Westbengalen, meint zum Beispiel, sie persönlich glaube nicht, daß Bose bei dem Absturz starb. Eine alternative Version seines Schicksals lautet, er habe unerkannt als Bettelmönch gelebt; laut einer anderen war er in einem sowjetischen Lager oder habe sein weiteres Leben in China verbracht. Vor allem die Zweifler an der offiziellen Version erhoffen sich neue Erkenntnisse über Boses Schicksal, wenn ab dieser Woche – pünktlich zum Geburtstag  – die indische Zentralregierung bisher gesperrte Akten freigibt. Mit diesem Schritt löst Premier Narendra Modi ein Wahlversprechen zugunsten der Familie und Anhängerschaft Boses ein. 

Denn der wird – im Westen anders als Mahatma Gandhi weitgehend unbekannt – auf dem Subkontinent verehrt und offiziell gewürdigt. So trägt der Flughafen der westbengalischen Hauptstadt Kalkutta seinen Namen. 

Subhas Chandra Bose stand nach dem Studium eine Karriere als höherer Beamter im Indian Civil Service bevor, die er jedoch zugunsten des Kampfs gegen die britische Kolonialmacht aufgab. Aus dem Gefolgsmann Gandhis wurde dessen politischer Widersacher, der gewaltsamen Widerstand nicht ausschließen wolltem – und für das Ziel der Freiheit Indiens nicht das Bündnis mit den Achsenmächten scheute. Ab 1941 baute Bose in Deutschland die Indische Legion (Azad Hind) auf, bestehend aus Freiwilligen sowie ehemaligen (britisch-)indischen Kriegsgefangenen, die in Annaburg (Sachsen-Anhalt) von der Wehrmacht ausgebildet wurden. 1943 brachte ein deutsches U-Boot Bose zu den Japanern, mit deren Hilfe er die Indische Nationalarmee aufbauen wollte. Im japanisch besetzten Singapur rief Bose die Provisorische Regierung des Freien Indien aus. Doch sein Wunsch, in der Heimat breche daraufhin der Aufstand gegen die Briten aus, erfüllte sich nicht. Nach der Kapitulation Tokios wollte sich Bose mit seinen Getreuen in die Sowjetunion absetzen. 

Unklar ist, inwiefern die nun freigegebenen Dokumente aus dem Nationalarchiv wirklich relevante neue Erkenntnisse über das Schicksal Boses liefern können. Die bereits 2015 entsperrten Akten aus dem Bundesstaat Westbengalen lieferten dazu nichts Erhellendes; dagegen bestätigten sie, wie tief das Mißtrauen des mächtigen Nehru-Ghandi-Clans gegenüber dem Kontrahenten Bose auch über dessen Tod hinausreichte. Unterdessen werden unabhängig von der Aktenfreigabe der indischen Regierung auch auf einer in Großbritannien ansässigen Internetseite Dokumente zum Fall Bose veröffentlicht. Die Seite bosefiles.info will laut ihren Betreibern die Geheimnisse und Mythen um den Tod des Gründers und Anführers der Indischen Nationalarmee enträtseln. Zum Beispiel durch die Wiedergabe von Augenzeugenberichten. Zitiert wird da ein Arzt, der Bose nach dem Flugzeugabsturz behandelt habe, oder Boses Ordonanzoffizier Oberst Habibur Rehman Khan, der den Absturz überlebt und noch eine letzte Botschaft seines Chefs an das indische Volk notiert hatte. Bei den insgesamt fünf Zeugenaussagen, betonen die Verantwortlichen der Seite, gebe es „keine zwei Meinungen“ über die Tatsache, daß Bose in der Nacht zum 18. August 1945 gestorben sei. Die Auseinandersetzung über das Ableben des Netaji dürfte dennoch weitergehen.