© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/16 / 22. Januar 2016

Zwischen die Fronten geraten
Situation der Polizei: Frustrierender als Überstunden, Einsatzbelastung und Ausrüstungsmängel wirkt sich mangelnde politische Rückendeckung auf die Beamten aus
Christian Schreiber / Christian Vollradt

Asylkrise, Terrorbekämpfung, dazu die schon zur Routine gewordenen Großdemonstrationen und Fußballspiele an den Wochenenden: Die Belastungsgrenzen für Polizisten sind längst überschritten. Viele Leistungen seien kaum noch zu erbringen oder „nur noch mit größten Anstrengungen unserer Kolleginnen und Kollegen zu gewährleisten“, klagt die Gewerkschaft der Polizei (GdP). 

Das habe Konsequenzen für das Privat- und Familienleben. „Prall gefüllte Überstundenkonten in Millionenhöhe und zu kurz kommende Pausen setzen schon lange nicht nur ihre Gesundheit, sondern auch ihre Beziehungen aufs Spiel“, heißt es in einem Beitrag der Mitgliederzeitschrift.

Viele Bewerber scheitern    an den Aufnahmetests

 Beamte bestätigen im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT diese frustrierte Stimmungslage: „Alle sind abgenervt, aber keiner traut sich, was zu sagen!“

Bundesweit wurde die Zahl der Polizeibeamten zwischen 1998 und 2008 von 273.000 auf derzeit 263.000 in Bund und Ländern reduziert. Rund 33.000 Vollzugsbeamte stellt die Bundespolizei. Ausgerechnet dort hatte der Bundesrechnungshof im Jahr 2011 noch ein „großes Einsparpotential“ gesehen und von einem „Überschuß von 6.000 Stellen“ gesprochen.  „Mir ist bis heute nicht erklärlich, warum ausgerechnet die Polizei, deren Belastung so drastisch gestiegen ist, nicht gestärkt, sondern geschwächt wurde“, sagt Konrad Freiberg, bis 2010 GdP-Chef. Die Polizei schultere seit vielen Jahren immer mehr Aufgaben: von der Terrorbekämpfung über die Internetkriminalität bis hin zur ständig wachsenden Zahl von Großeinsätzen bei Fußballspielen, Politgipfeln und Demonstrationen, erklärt Freiberg und stellt fest: „Diese Situation war absehbar.“

Jörg Radek, stellvertretender Vorsitzende der GDP, pflichtet dieser Einschätzung bei. „Man hat unseren Mahnungen nicht geglaubt“, sagt er und verweist auf eine Aussage vom Sommer. Damals hatte er vor Beginn der Fußball-Bundesliga-Saison vor einer Eskalation gewarnt. „Gewaltbereite Hooligans nutzen Bahnhöfe als Treffpunkte für gewalttätige Auseinandersetzungen. Dort müssen wir sie von den vielen friedlichen Fans und den unbeteiligten Bahnreisenden trennen“, erklärte er Ende Juli. Die Bundespolizei sei aufgrund des Personalmangels an vielen Bahnhöfen aber überhaupt nicht mehr präsent, insgesamt fehlten 3.400 Stellen. Und dann eskalierte die Asylkrise, und die Politik sah sich zum Handeln gezwungen. Anfang September verständigten sich die Koalitionsparteien CDU, SPD und CSU auf die Schaffung von 3.000 neuen Stellen bei der Bundespolizei. Radek sprach anschließend von einer „Kehrtwende beim bislang so intensiv betriebenen Personalabbau bei der Polizei“, fügte aber hinzu: „Damit wird erst einmal nur die größte Not gelindert, es muß sich dauerhaft was ändern.“ Radek forderte in diesem Zusammenhang auch die Länder auf, endlich mehr Geld für zusätzliche Polizeibeamte auf Landesebene bereitzustellen. Die „ignorante Sparpolitik“ bei der Polizei müsse ein Ende haben.

Doch nicht nur die Einsparungen bei Personal und Ausstattung haben den Polizeiapparat in der Republik stark geschwächt. Quer durch die Länder ist von Nachwuchssorgen die Rede, es mangele teilweise an qualifizierten Bewerbern für die nicht gerade lukrativen Jobs.  Schon Ende 2013 berichtete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel aus einem internen Papier der größten Landespolizeidirektion, Nordrhein-Westfalen. Eine „Arbeitsgruppe Verwendungseinschränkung“ zeichne ein alarmierendes Bild von der gesundheitlichen Verfassung vieler Polizisten im Land. Die Hüter des Gesetzes seien alt, häufig krank und vielfach nur noch eingeschränkt diensttauglich. Der Studie zufolge seien nur 18 Prozent aller Polizisten in Nord-rhein-Westfalen jünger als 34 Jahre, aber 40 Prozent der Beamten älter als 50 Jahre, Tendenz steigend. Wie  die GdP in der vergangenen Woche erklärte, hat die nordrhein-westfälische Polizei schon seit Jahren mit Personalmangel, Überalterung und einer Anhäufung von Millionen Überstunden zu kämpfen. Der Personalbestand werde durch eine Pensionswelle bis Mitte des nächsten Jahrzehnts gegenüber 2011 um fast zehn Prozent schrumpfen. 

 Die rot-grüne Regierung unter Hannelore Kraft habe zwar einige zusätzliche Stellen geschaffen und dies unabhängig von der Flüchtlingskrise, erklärte die GdP, aber die höheren Neueinstellungen linderten den Personalmangel auch nicht kurzfristig. Denn die jetzt eingestellten Polizisten stünden erst nach ihrer Ausbildung in drei Jahren für den Dienst zur Verfügung.

Ähnlich mies wie in Nordrhein-Westfalen sind die Zustände in der Bundeshauptstadt. Bis 2022 scheiden dort 6.200 Beamte aus  Altersgründen aus dem Dienst. Diese Stellen zu besetzen und junge Leute auszubilden, stellt die Behörde offenkundig vor große Probleme. Die Landespolizeischule sei damit überfordert, heißt es aus dem Senat.  Im laufenden Jahr müßten genau 984 Anfänger eingestellt werden, dafür seien 14.800 Bewerbungen erforderlich, teilt die Berliner Polizeischule mit. Sie weist zudem darauf hin, daß die Arbeit bei der Landespolizei um zehn Prozent schlechter bezahlt sei als bei der Bundespolizei und damit einfach weniger attraktiv. 

Größtes Problem sei daher die schlechte Qualifikation der Bewerber. Selbst Abiturienten fielen massenhaft durch den Deutschtest: „Jeweils 20 bis 30 Prozent der Bewerber scheitern beim Deutsch- und beim Sporttest, weitere 20 bis 25 Prozent an der ärztlichen Untersuchung. Die Polizei kritisiert bei den Schulabgängern zudem eine „steigend schlechtere Allgemeinbildung“, eine „sinkende Leistungsbereitschaft“ und ein Desinteresse an Teamarbeit, sagt ein Behördensprecher, der gleichzeitig darauf hinweist, daß es nicht sinnvoll sei, die Anforderungen bei der Einstellung weiter abzusenken. 

Innensenator Frank Henkel (CDU) hatte vor einigen Monaten festgestellt, 350 zusätzliche Stellen bei der Polizei reichten angesichts der zahlreichen Probleme nicht aus. Er wolle sich für weitere Stellen „in dreistelliger Höhe“ im nächsten Berliner Doppelhaushalt einsetzen. Das Problem werde sein, dafür geeignete Bewerber zu finden, gestand der Senator aber selbst ein. Viele Polizeidirektionen haben bereits vor Jahren damit begonnen, zum Teil aufwendige Werbemaßnahmen durchzuführen. So werden Anzeigen in Zeitungen geschaltet, die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter genutzt. 

Mittlerweile dürfen sich sogar Tätowierte bei der Bundespolizei bewerben – offenkundig will man sich ein moderneres Image verpassen. Gezielt wirbt man auch in Migranten-Kreisen, wo vor allem Politiker ein großes Bewerberpotential ausgemacht haben wollen. Doch die Nachfrage hier läuft schleppend, die Bewerberzahlen sind unterdurchschnittlich und die Durchfallquote gerade bei den Sprachtests wiederum überdurchschnittlich hoch. 

Immerhin kann mancher Polizist der zunehmenden Terrorgefahr sogar positive Seiten abgewinnen: „Unsere Ausrüstung ist jetzt deutlich besser geworden“, ließ ein Beamter die JF wissen. Allerdings scheint das nicht überall so zu sein. Die Bereitschaftspolizeien der Länder sind in der aktuellen Bedrohungslage noch nicht optimal gewappnet. Beispielsweise benötigen sie mehr und bessere schußsichere Westen, die etwa dem Beschuß aus Kalaschnikows standhalten. Außerdem sind mehr gepanzerte Fahrzeuge nötig, um Polizisten sicher transportieren zu können. Der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz (SPD), fordert zudem schwere Waffen, mit denen die Beamten auf längere Distanz schießen können.   

Unzulänglichkeiten bei der Ausstattung zeigen sich auch an anderer Stelle.So können in Niedersachsen die im vergangenen Sommer in Dienst gestellten Polizeihubschrauber vom Typ EC 135 P2 keine Polizisten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) mit ihrer Ausrüstung und Bewaffnung transportieren; ihre Nutzlastkapazität reicht dafür nicht. Die Spezialkräfte müssen also weiterhin mit dem Auto zum Einsatz, selbst wenn das deutlich länger dauert als die Verlegung per Hubschrauber. 

Die politische Gesinnung wird vorgegeben

Aber es sind nicht nur solche Ausstattungsmängel, nicht nur Einsatzbelastung und Überstunden, die für Frust unter den Beamten sorgen. Vielen fehlt die Rückendeckung von oben. „Ich war immer stolz, Polizist zu sein, für Recht und Gesetz zu sorgen“, erläutert ein Beamter mit über vier Jahrzehnten Diensterfahrung der JUNGEN FREIHEIT. Jetzt mache er immer öfter nur noch Dienst nach Vorschrift. Warum? Weil er ständig erlebt, daß es Politiker mit der Einhaltung der Gesetze nicht ganz so ernst nehmen; und weil er oft am eigenen Leib erfahren hat, wie bei manchen Delikten die Strafverfolgung nur halbherzig betrieben wird.

Sauer sind manche Polizisten auch auf Führungskräfte in den eigenen Reihen. „Wenn wir von Kollegen zur Unterstützung in brenzligen Situationen gerufen werden“, berichtet ein jüngerer Beamter aus einer deutschen Großstadt, „dann hängt viel davon ab, wie die in der entsprechenden Inspektion so ticken.“ Es gebe da typische „Deeskalierer“, das spiegele sich umgehend auch im Verhalten der Täter wider. „Die haben dann null Respekt vor uns“, resümiert der Polizist. „Wenn solche eher ‘weichen’ Kollegen um Unterstützung bitten, beeilen wir uns nicht, die Kohlen aus dem Feuer zu holen.“ Um sinnvoll – das heißt mit Nachdruck und abschreckend – arbeiten zu können, „brauchen wir Rückendeckung, die bekommt man eher von den robuster auftretenden Chefs“.

Ein Kripo-Mann schildert folgendes: „Bei offiziellen Gesprächen geht es zumeist politisch korrekt zu, aber nur so lange, bis die Behördenleiter den Raum verlassen haben. Wenn es dann zur freien Diskussion kommt, dann berichten die meisten der Kollegen von den Problemen, mit denen sie zu kämpfen haben.“ 

Die politische Gesinnung werde quasi vorgegeben. „Äußerungen, die nur ansatzweise den Verdacht aufkommen lassen, der Beamte hege Sympathien für ‘rechte’ Gruppierungen, sind tunlichst zu unterlassen.“ Für Gespräche mit Pressevertretern bedürfe es der Erlaubnis der Behördenleitung. Und die gibt vor, zu welchen Themen Stellung genommen werden darf. Heikle Fälle – etwa bei Kriminalität unter Flüchtlingen – tauchten nur in den internen „Tageslagen“ auf, nicht jedoch in den offiziellen Pressemitteilungen. „Es gibt eine polizeiliche Kriminalstatistik, die nicht stimmt – und eine Dunkelziffer, die bei weitem höher ist, als man sich vorstellen kann.“





Das Plus an Sicherheit

Als „stille Reserve“ im Kampf gegen den Terror ist sie gedacht, die neue Spezialeinheit der Bundespolizei mit der Bezeichnung „BFE+“. Das Kürzel BFE steht für „Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten“; diese gibt es auch bei den Bereitschaftspolizeien der Länder. Die BFE+ wurde im Dezember unter dem Eindruck der Anschläge von Paris in Anwesenheit von Bundes-            innenminister Thomas de Maizière (CDU) offiziell in Dienst gestellt. Die Beamten sollen die Lücke zwischen den „normalen“ Bereitschaftseinheiten und der Anti-Terror-Einheit GSG 9 schließen. Die ersten 50 der bis zu 250 Bundespolizisten sind bereits im brandenburgischen Blumberg stationiert. „Diese Einheit kann schützen, diese Einheit kann fahnden, und diese Einheit kann entschlossen handeln – dadurch hält sie der GSG 9 den Rücken frei für Geiselbefreiungen und andere robuste Lagen“, so der Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Dieter Romann. Mit der schwerer bewaffneten BFE+ verfügt die Bundespolizei wieder – wie zu Zeiten als sie noch Bundesgrenzschutz hieß – über eine an klassische Gendarmerien erinnernde Einheit.