© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/16 / 15. Januar 2016

Die Pleite des Willkommensrundfunks
Köln: Die Leitmedien wurden zum wiederholten Male vorgeführt und riskieren ihr letztes bißchen Glaubwürdigkeit / Andererseits zeigt die Affäre auch, wie wichtig gerade jetzt seriöser Journalismus ist
Ronald Gläser

Am komenden Donnerstag werden die neuen IVW-Zahlen verkündet. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich die etwas sperrige „Interessengemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern“, und die Zahlen, um die es dabei geht, sind die Auflagen. Die neuen gelten für das vierte Quartal 2015. 

Viele Journalisten schauen diesem Termin mit Sorgen entgegen, weil es dann möglicherweise in ihrem Verlag heißt: Sparmaßnahmen, Zusammenlegung von Redaktionen, Abschaltung freier Mitarbeiter. Denn bei fast allen Zeitungen in Deutschland gibt es seit Jahren nur eine Richtung: abwärts.

Wie konnte es zum Kölner Mediengau kommen?

Die Auflagenrückgänge haben auch andere Gründe wie die digitale Revolution, aber eines der größten hausgemachten Probleme ist die mangelnde Glaubwürdigkeit. Durch Köln hat die deutsche Medienbranche sich gerade selbst einen weiteren Zacken aus der Krone gebrochen. Schon wieder. Wie konnte es dazu kommen? 

Der 4. Januar: Am ersten Montag des neuen Jahres kamen die meisten deutschen Journalisten zurück in ihre Redaktionen. Checkten E-Mails. Konferenzen. Die Fakten lagen bereits seit drei Tagen auf dem Tisch. Bei Facebook kursierten seit Neujahr die Geschichten von massenhaften Sex-Atttacken. Die Lokalblätter Kölner Stadt-Anzeiger und Express hatten das Thema bereits entdeckt und berichteten darüber. Doch die meisten Redaktionen entschieden sich, das Thema links liegenzulassen.  

Nicht so Jörg Zajonc. Der Chef von RTL West schickte ein Reporterteam los und ließ es Betroffene interviewen. Mittags twittert er: „Sehe gerade die erste Ausgabe von WDR aktuell 2016. Infos aus aller Welt und NRW. Kein Wort zu Silvesterübergriffen. RTL West bringt’s 18 Uhr.“ In einem Kommentar kritisierte Zajonc dann  später die Schweigespirale in bezug auf Ausländerkriminalität: „Fast alle Täter stammen aus anderen Kulturkreisen. Thematisiert wird das selten.“ Als zu „gefährlich, rassistisch und diskriminierend“ gelte es, die Dinge beim Namen zu nennen.

Der 5. Januar: Die überregionale Tagespresse erscheint überwiegend köln-frei. Welt, SZ und Bild haben Dänemarks Grenzschließung, Börsenkurse und Achim Mentzels Tod auf ihren Titelseiten. Nur die FAZ berichtet über die Kölner Übergriffe. Doch dann brachen alle Dämme, nicht zuletzt weil die Bild-Regionalausgabe in Hamburg über ähnliche Angriffe  auf der Reeperbahn berichtet. Die neue Chefredakteurin Tanit Koch hat die „Refugees welcome“-Linie ihres beförderten Amtsvorgängers Kai Diekmann durch Schlagzeilen über „Sex-Mobs in deutschen Städten“ ersetzt. Diekmann selbst hat übrigens auch das „Refugees welcome“-Symbol aus seinem Twitterkonto gelöscht.

Hilflos versuchen einige Medien, vor allem bei den Öffentlich-Rechtlichen – aber nicht nur da –, zu retten, was zu retten ist. Der NDR-Redakteur Andreas Hilmer behauptet, es sei gar nicht klar, was genau in der Silvesternacht passiert sei, und benutzt in einem kabarettreifen Auftritt in nur drei Minuten gleich dreimal das Wort „diffus“. Er warnt: „Man muß aufpassen, daß das nicht mit der Flüchtlingsdebatte vermengt wird.“ Außerdem sei der rassistische Mob, der sich nun im Internet austobe, genauso schlimm wie die Übergriffe. 

Hilmer wurde zum Gespött im Netz. Ebenso wie die Kölner Bürgermeisterin Henriette Reker, die Frauen an diesem Tag riet, eine Armlänge Abstand zu fremden Männern zu halten. Unter dem Twitter-Hashtag #einearmlaenge kassierte Reker den Hohn vieler Internetnutzer. Die taz rief indirekt nach dem Presserat, weil unzulässigerweise die Herkunft der Täter thematisiert werde, und bei N-TV wurde in einem Kommentar die „Jagd auf Flüchtlinge“ als „widerlich“ bezeichnet. Zuletzt versuchte der Verleger Jakob Augstein den Vorfall zu verharmlosen, erntete damit aber bestensfalls noch Kopfschütteln. 

Inzwischen begannen jedoch die Medien der gesamten westlichen Welt damit, über Köln zu berichten. Der Plan B einiger Leitmedien waren ab jetzt diverse Ablenkungsmanöver, die parallel mit den entsprechenden Schuldzuweisungen der Politiker gestartet wurden. Plötzlich war die Polizei schuld. 

Diese Stoßrichtung erinnert stark an die Reaktion der Links-Medien wie taz und Co. zum Skandal um die Berliner Rütli-Schule vor zehn Jahren. Damals wurde die Ausländergewalt umgedeutet in eine Kritik an Hauptschulen. Mit Erfolg, denn diese wurden später endgültig abgeschafft. 

Nicht, daß die Probleme mit überfremdeten Schulen dadurch beendet worden wären. Im Gegenteil. Erst am 4. Januar  kam es an einer Grundschule im Berliner Problembezirk Wedding zu einem Polizeieinsatz, nachdem 23 Lehrer und Schüler durch eine Reizgasattacke eines 15jährigen aus einer sogenannten Willkommensklasse verletzt worden waren. 

Die Medien konzentrieren sich jetzt auf das vermeintliche Versagen der Polizei, was es ihnen auch leichter macht, die eigene Rolle zu vertuschen. Nur wenige hatten die Größe von Elmar Theveßen. Der ZDF-Vizechef räumte eine „Fehleinschätzung“ ein: „Es war ein Versäumnis, daß die 19-Uhr-heute-Sendung die Vorfälle nicht wenigstens gemeldet hat.“ Die meisten anderen beriefen sich jedoch weiterhin auf die Pressemitteilung der Kölner Polizei vom  Freitag, in der es harmlos geheißen hatte, die Einsatzlage sei entspannt gewesen, „auch weil die Polizei sich an neu-ralgischen Orten gut aufgestellt und präsent zeigte“. So begründete die ARD noch am 5. Januar abends ihre zurückhaltende Berichterstattung mit den Worten: „Am Neujahrstag hatte die Polizei zunächst von einer ruhigen Silvesternacht gesprochen.“ 

Aussagen wie diese sagen alles über das Selbstverständnis der Journalisten, die Pressemitteilungen von Behörden scheinbar für Offenbarungen halten, die es nicht kritisch zu hinterfragen gilt. 

Wer so denkt, darf sich über Auflagen- oder Zuschauerschwund nicht beklagen. Auch wenn der Vorwurf an die Polizeiführung berechtigt ist: Pressestellen mauern, was das Zeug hält, wenn es um Ausländergewalt geht. Das Publikum hat sich natürlich zwischenzeitlich daran gewöhnt, daß die Polizeimeldungen keine Hinweise mehr auf die Herkunft enthalten und denkt sich seinen Teil. Eine Durchsicht der aktuellen Fahndungen der Berliner Polizei zeigt, daß nur ganz sparsam der Begriff „südländischer Typ“ Verwendung findet. Und zwar selbst dann, wenn mitgelieferte Fotos eindeutig Ausländer zeigen.Wenn die Behörden so deckeln, macht es das für Journalisten nicht leichter. 

Polizeipressestellen             informieren nur zähflüssig

Es herrscht Mißtrauen. Polizeipressestellen sagen nur die halbe Wahrheit. Polizisten dürfen nichts sagen und müssen sich anonym an Journalisten wenden, wenn sie wollen, daß die Wahrheit ans Licht kommt. Die Journalisten selbst sind oft Gefangene ihrer rot-grünen Gesinnung, die in etlichen Untersuchungen diagnostiziert worden ist. Eine Studie der Freien Universität nach der letzten Bundestagswahl hat ergeben, daß der Anteil von Grün-Wählern in Redaktionen dreimal so hoch ist wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Natürlich hat das Auswirkungen auf die Berichterstattung.So schwindet die Glaubwürdigkeit deutscher Leitmedien weiter.