© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/16 / 15. Januar 2016

Wie kleine Kinder
Verrohung der Sprache: Politiker und viele Journalisten sind einer immer komplexeren Problemlage immer weniger gewachsen
Doris Neujahr

Parteiübergreifend-etabliert wird über die verbale „Verrohung“ geklagt, der Politiker und Journalisten im Netz ausgesetzt seien. Unterschlagen wird die naheliegende Frage, in welchem Zusammenhang der Haß und die Aggressivität, die sich entladen, mit der Qualität der Politik, dem Zuschnitt ihrer Protagonisten und der Berichterstattung darüber stehen.

Zwei relativ harmlose Meldungen neueren Datums: Der CDU-Politiker Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, trat mit der Forderung hervor, ein Bundesministerium für Migration, Integration und Flüchtlinge einzurichten. Wenig später berichtete die FAZ: „Schäuble erwirtschaftet Milliardenüberschuß“. Die Summe werde in eine Rücklage fließen, aus der die Kosten der „Flüchtlingszuwanderung“ beglichen werden sollen.

Solche politisch-mediale Rhetorik ist eine Provokation für das Gerechtigkeitsgefühl und den gesunden Menschenverstand. Denn der Bundesfinanzminister „erwirtschaftet“ natürlich überhaupt nichts. Er sammelt das Geld ein, das den arbeitenden Schichten durch Steuern und Abgaben abgepreßt wird, und finanziert damit den Katastrophenkurs seiner Chefin.

Die gemolkenen Steuerzahler aber können immer weniger Rücklagen bilden, so daß sie im Notfall zu unmittelbar Abhängigen des unberechenbaren Staates werden. Eine effektive Möglichkeit, sich zu wehren, besitzen sie nicht, denn die politische Klasse ist sich in der Unterstützung von Merkels Politik und im Beibehalt der Steuer- und Abgabenlast im Grundsatz einig. Mehr noch: Für ihren kollektiven Bankrott möchte sie sich – siehe Röttgen – mit neuen Zuständigkeiten und einem neuen Ministerium mit Hunderten steuerfinanzierten Planstellen belohnen.

Die am meisten aufreizenden Äußerungen stammen naturgemäß von den Grünen. Weil diese Partei über keine in die Vorzeit der Bundesrepublik hinabreichenden historischen Wurzeln verfügt, fehlen ihr die Restspuren eines Staatsethos, die bei den anderen Parteien einschließlich der östlichen Landesverbände der Linkspartei noch vorhanden sind. Für die Grünen ist die Bundesrepublik eine nach fast allen Richtungen offene Gesellschaft, die sich lediglich nach „rechts“ fest verschließt. Was logisch ist, denn rechtes politisches ist ein staatsbezogenes Denken.

Von einigen in exekutiver Verantwortung stehenden Politikern abgesehen, haben die Grünen deshalb auch keine Schwierigkeiten mit den schlimmen Konsequenzen der Zuwanderung, im Gegenteil. Mehr als um die realen Verbrechen in Köln sorgt die unvermeidliche Claudia Roth sich um die virtuellen Reaktionen im Internet. „Dort macht sich schon ein organisierter Mob daran, zur Jagd auf nicht weiße Menschen aufzurufen und Rache zu üben“, ereiferte sie sich in einem Zeitungsinterview. „Es werden Gewalt- und Vergewaltigungsphantasien ausgelebt, auch gegen Menschen wie mich.“ Sie fordert, die „Männergewalt viel stärker in den Blick (zu) nehmen als bisher“ und die Sozialarbeiterkohorten zu verstärken, also noch mehr Parteigänger im öffentlichen Dienst unterzubringen.

Einen eigenwilligen Sinn für die Realitäten demonstrierte auch der innenpolitische Sprecher Volker Beck, als er im Dezember in einer Fernsehsendung äußerte: „Notwendig ist auch der Respekt der Mehrheitsgesellschaft gegenüber den religiösen Vorstellungen und Vorschriften von Minderheitsreligionen.“ Dazu zählte er religiöse Kopfbedeckungen, das religiös begründete Schächten von Tieren und die Beschneidung.

Die Fraktionsvorsitzende im Bundestag Katrin Göring-Eckardt triumphierte: „Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich drauf!“ Stefanie von Berg, bildungspolitische Sprecherin ihrer Partei in der Hamburger Bürgerschaft, verkündete im Plenum: „(...) unsere Gesellschaft wird sich ändern, unsere Stadt wird sich radikal verändern“. In 20, 30 Jahren werde es „gar keine ethnischen Mehrheiten mehr (geben) in unserer Stadt“. In verletzender Absicht fügte sie hinzu: „Und ich sage Ihnen ganz deutlich, gerade hier in Richtung rechts: Das ist gut so.“ 

Vor dem Hintergrund der Silvester-Randale müssen die Sätze besonders eindrücklich erinnert werden! Diese Politiker gleichen Kindern, die am sonntäglichen Mittagstisch mit der Schöpfkelle die vollgefüllte Sauciere zerschlagen und mit dem Ausruf „Alles putt!“ triumphierend in die Runde blicken. Nur haben Claudia (60), Volker (55), Katrin (49) und Stefanie (51) leider keine weisungsberechtigten Eltern mehr über sich, sondern dürfen Kraft ihres Mandats und Medienpräsenz selber als Erziehungsberechtigte agieren.

Erwidern läßt sich darauf nichts mehr. Denn die Äußerungen liegen auf einem Niveau, das die alten Griechen als Ochlokratie, als Pöbelherrschaft bezeichneten. Die auftrumpfende Unzuständigkeit füllt täglich 24 Stunden lang den politischen und öffentlich-medialen Raum und bietet die zynische Begleitmusik zum Zerfall der staatlichen Ordnung. Der Bürger hat keinerlei Möglichkeit, sich ihrer Allgegenwart zu erwehren und muß sie wie zum Hohn sogar finanzieren. Das ist eine Form der Psycho-Folter, die zu Erbitterung und Zorn und schließlich zu wütender Aggression führt.

Typischerweise handelt es sich bei drei der vier genannten Vertreter um Studienabbrecher. Nun besagt ein abgebrochenes Studium erst einmal überhaupt nichts. Es gibt geniale Künstler, großartige Erfinder, zupackende Firmengründer, begnadete Handwerker und andere Leistungsträger, die sich trotz fehlendem Studien- oder Berufszertifikat durchgesetzt haben: nämlich durch nachweisbare Leistung und ohne Netz und doppelten Boden. Wer hingegen als prekäre Existenz in die Politik eintritt, ohne zuvor einen fachlichen Befähigungsnachweis erbracht zu haben, wird hier in der Regel zum „reinen ‘Pfründner’“ (Max Weber), und zwar in einem durch Steuergelder hochsubventionierten Bereich, wo die Kosten-Nutzen-Erhebung als Angriff auf die Demokratie als solche tabuisiert wird.

Stefanie von Berg hat immerhin eine literaturwissenschaftliche Doktorarbeit zum Thema „Uncomfortable Mirror: (De-)Kolonisation in Gedichten zeitgenössischer nordamerikanischer indigener Autorinnen. 1973–1997“ verfaßt, was zunächst außerordentlich gelehrsam klingt. Den Gehalt der Arbeit hat sie selber auf den schlichten Satz reduziert: „Den Postkolonialismus habe ich aus der Perspektive der Frauen beleuchtet.“

So verwundern auch die Leerformeln nicht, die sie vor der Bürgerschaft zum besten gegeben hat: In Hamburg bilde sich eine „superkulturelle“ Gesellschaft heraus, und die Stadt lebe davon, „daß wir ganz viele Ethnien haben“. Nein, Frau von Berg, die Stadt und das Land leben davon, daß die einen arbeiten und mit immer höheren Steuern und Abgaben die wachsende Zahl derjenigen ruhigstellen, die nicht arbeiten oder überhaupt niemals etwas zum Sozialprodukt beigetragen haben.

Man nennt das Umverteilung. Die Lust an ihr ist parteienübergreifend, sie ist der bundesdeutsche Politikersatz, und aus ihr erklärt sich die Freude, mit der die Grünen-Politiker – und längst nicht nur sie – die Massen- und Unterschichtenzuwanderung begrüßen. Sie eröffnet ihnen die Aussicht auf die Ausweitung und Verstetigung des Umverteilungsprinzips, auf der ihre berufliche und gesellschaftliche Existenz aufgebaut ist. Sie haben ein handfestes persönliches Interesse an einer Politik, die zur Zerstörung des Landes führt. Eifersüchtig wachen sie darüber, daß ihnen niemand ihre Pfründe streitig macht, und scheuen sich nicht, dafür auch den Verfassungsschutz einzusetzen.

Ausgerechnet die Berufung auf das demokratische Prinzip bietet den unqualifizierten Akteuren die Gelegenheit, sich der Leistungskontrolle durch den Demos zu entziehen. Die Folge davon ist ein fortschreitender Bildungs-, Kultur- und Niveauverlust der politischen Klasse, die einer immer komplexeren Problemlage immer weniger gewachsen ist. Der Bevölkerungswissenschaftler Volkmar Weiss interpretiert die „Wechselwirkung zwischen Intelligenzproletariat, Massenmedien und Parteien“ als „Teil eines Selbstzerstörungsprozesses, in dem die Dummheit der Halbintelligenten schon seit langem die Regie führt“.

Ergänzend dazu schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Hermann Hoppe im Buch „Demokratie. Der Gott, der keiner ist“, daß die Subventionierung von Politikern sich von der Zufriedenheit der Konsumenten – des Demos – abgekoppelt hat und es primär um das Wohlergehen der Produzenten, also der Politiker geht. „Ihre Gehälter bleiben gleich, ob ihr Produkt den Konsumenten zufriedenstellt oder nicht. Entsprechend wird es als das Ergebnis der Ausweitung der Beschäftigung im ‘öffentlichen’ Sektor zunehmende Faulheit, Gedankenlosigkeit, Inkompetenz, schlechte Dienstleistung, Mißhandlung, Verschwendung und sogar Zerstörung geben – und gleichzeitig immer mehr Arroganz, Demagogie und Lügen.“

Die Asylkrise bestätigt Hoppes These auf beklemmende Weise. Die rohe Wut, die sich im Internet über die Politik und ihre Repräsentanten entlädt, ist nur die Antwort auf deren Verrohung.