© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/16 / 08. Januar 2016

German Angst und Wüstensturm
Vor 25 Jahren zeigte sich die friedensbewegte Bundesrepublik vom Beginn des Irak-Kriegs erschüttert
Wolfgang Kaufmann

Am 2. August 1990 rückten irakische Truppen in das benachbarte Kuwait ein. Sechs Tage später verkündete Saddam Hussein die Annexion des Emirats. In Reaktion hierauf verabschiedete der UN-Sicherheitsrat am 29. November 1990 die Resolution 678, welche die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen ermächtigte, ab dem 15. Januar 1991 „alle erforderlichen Mittel“, also auch militärische, anzuwenden, um Kuwait zu befreien. Der somit völkerrechtlich legitimierte Angriff erfolgte dann am 17. Januar um 3 Uhr Ortszeit in Form von massiven Luftschlägen gegen 1.300 Ziele im Irak. Dem schloß sich eine Bodenoffensive an, die am 24. Februar begann. An der Operation „Desert Storm“ nahmen insgesamt 827.000 Soldaten aus 34 Ländern teil, wobei die USA drei Viertel davon stellten.

Nicht in der Koalitionsstreitmacht mit UN-Mandat vertreten war die Bundeswehr. Allerdings steuerte die Bundesrepublik erhebliche finanzielle Mittel bei – letztlich flossen um die 18 Milliarden D-Mark, was jedoch weniger zu Dankbarkeit als dem Vorwurf führte, feige „Scheckbuchdiplomatie“ zu betreiben. Zudem entsandte das gerade wiedervereinigte Deutschland 18 Kampfflugzeuge und das Flugabwehrraketen-Geschwader 2 in die Türkei, um einen Beitrag zum Schutze des Nato-Partners vor eventuellen Angriffen aus dem Irak zu leisten.

Diese zurückhaltende Verfahrensweise resultierte zum einen aus der unklaren Rechtslage: Das Bundesverfassungsgericht urteilte erst am 12. Juli 1994, daß die Bundeswehr auch an sogenannten Out-of-Area-Einsätzen außerhalb des Nato-Gebietes teilnehmen dürfe. Zum anderen übte aber auch die Friedensbewegung, welche mit dem Ende des Kalten Krieges fälschlicherweise schon für tot erklärt worden war, einen enormen Druck auf die Politik aus.

Dabei fielen die Proteste zunächst recht schwach aus. Zwar appellierten die Grünen bereits im September 1990 an alle Bundeswehrsoldaten, zu desertieren, um einer möglichen Beteiligung an Kampfeinsätzen zu entgehen, doch kamen zu den organisierten Kundgebungen der Kriegsgegner noch im Oktober nur um die 5.000 Menschen. Dies änderte sich erst Anfang 1991, als die von der Uno genannte Frist ablief und der Angriff auf den Irak nun unmittelbar bevorstand. So fanden am 12. Januar plötzlich jede Menge Demonstrationen im gesamten Bundesgebiet statt, bei denen etwa 250.000 Teilnehmer gezählt wurden.

Etliche Panikkäufe von Konserven und Gasmasken

Allerdings waren viele derer, die damals auf die Straße gingen, Schüler, welche jetzt die Politik für sich entdeckten, ohne freilich irgendein Gespür für Zusammenhänge und Notwendigkeiten zu besitzen. Diese jungen Leute agierten meist im Bunde mit einem reichlich durchwachsenen Häuflein von Kapitalismuskritikern, Rüstungsgegnern, Frauenbewegten, radikalen Christen, Sozialarbeitern und Umweltaktivisten. Man kann hier also kaum von einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung sprechen. 

Ebenso gab es deutliche Unterschiede zwischen Ost und West. Zwar riefen linksorientierte Kirchenleute auch in den neuen Bundesländern zum Widerstand auf, doch waren die meisten Menschen dort nicht bereit, im Sonderzug zu den Großdemos in Berlin, Bonn, Stuttgart und anderswo zu pilgern: Die Einführung der angeblich sozialen Marktwirtschaft hatte einen Kampf ums ökonomische Überleben eingeläutet, der wenig Raum für die Beschäftigung mit dem fernen Krieg im Nahen Osten ließ.

Ansonsten blieb der Protest über weite Strecken inhaltlich undifferenziert und beschränkte sich auf die Verwendung von platten Parolen wie „Kein Blut für Öl!“ oder „Rolf, geh nicht an den Golf!“ sowie die gebetsmühlenartig vorgetragene, aber komplett realitätsfremde Forderung nach einer Verhandlungslösung. Ja, manchmal wurde es sogar regelrecht lächerlich. So zum Beispiel als feministische Gruppen in Berlin den Deutschen Gewerkschaftsbund aufforderten, den Generalstreik zu proklamieren. Ebenfalls kaum ernst zu nehmen waren Aktionen wie der Streik der Zivildienstleistenden am 15. Januar 1991 oder die verbreitete Absage der Karnevalsumzüge im darauffolgenden Februar. 

Das Ausland, in dem es zu keinen vergleichbaren Reaktionen gekommen war, reagierte angesichts des ebenso naiven wie besserwisserischen Pazifismus der Deutschen, welche auf den Straßen Frieden und Gewaltlosigkeit forderten, verständnislos oder gar empört. „Viele, vor allem die Jungen, sehen nicht die Parallelen zwischen dem deutschen Angriff auf Polen 1939 und der irakischen Besetzung Kuwaits“, schrieb die Financial Times, während die Jerusalem Post die Friedensdemonstrationen in der Bundesrepublik als „obszön“ und „zynisch“ bezeichnete, womit sie insofern recht hatte, als die Bedrohung Israels durch den Irak von den Protestlern in keiner Weise thematisiert wurde.

Darüber hinaus gab es aber auch Kommentatoren, die sich belustigt zeigten und auf die Panikkäufe von Konserven und Gasmasken oder andere hysterische Reaktionen hinwiesen, welche Ausdruck der mittlerweile schon wohlbekannten „German Angst“ seien. Dieses Phänomen war spätestens seit dem „Raketen-Herbst“ von 1983, also den Demonstrationen gegen den Nato-Doppelbeschluß und die sich daraus ergebende Stationierung von Pershing-II-Raketen auf dem Boden der Bundesrepublik, in aller Munde. Dabei fürchteten die Deutschen nicht nur den Atomkrieg, sondern auch viele andere vermeintliche Bedrohungen wie das „Waldsterben“ durch den „sauren Regen“ und diverse neue Technologien.

Rosenmontagszüge und Karnevalsfeiern abgesagt

Während in ganz Deutschland alle Karnevalsveranstaltungen und Rosenmontagszüge abgesagt wurden und Linke zur nutzlos-symbolischen Blockade von Bundeswehrkasernen übergingen, erzielten die Koalitionstruppen einen schnellen Sieg gegen den Aggressor Irak. Bereits am 26. Februar mußte die Armee Saddam Husseins mit dem Rückzug aus Kuwait beginnen. Dem folgte das Ende der Kampfhandlungen am 3. März, wonach der irakische Kommandorat der Revolution den formellen Verzicht auf das im Sommer zuvor annektierte Scheichtum verkündete. Dies wiederum führte zu einem weitgehenden Erlahmen der Friedensbewegung in Deutschland. Zudem setzte nun bei den Sozialdemokraten und Grünen ein Umdenken ein, was Auslandseinsätze der Bundeswehr betraf.