© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/16 / 08. Januar 2016

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler


Stell’ dir vor, du hast Heiligabend Geburtstag, feierst deinen Siebzigsten mit einer rauschenden Party, zwei Tage später klagst du über Brustschmerzen, begibst dich in eine Notaufnahme und erfährst, daß du Krebs hast und nur noch wenige Monate zu leben. Zwei weitere Tage danach bist du tot. So ist es Ian Fraser Kilmister ergangen, den alle nur Lemmy nannten, Bassist und Sänger von Motörhead, eine Kultfigur. Lemmy starb am 28. Dezember 2015. Das dürften sich auch die Kollegen von der Monatszeitschrift Metal Hammer so nicht einmal in ihren schlimmsten Alpträumen vorgestellt haben. Das Titelbild ihrer Januar-Ausgabe, die vor Weihnachten erschienen ist, ziert ein Foto von Lemmy Kilmister, dazu die Zeile „Wir gratulieren! Zum Geburtstag öffnet Lemmy sein Familienalbum“. Im Heftinneren kommentiert er selbst die Bilder aus vier Jahrzehnten. Beigestellt sind Glückwünsche von knapp zwei Dutzend Metal-Kollegen. So rasch kann aus einer Geburtstagsgratulation ein Nekrolog werden.


Daß der charismatische Motörhead-Frontmann „überraschend“ gestorben sei, wie es in etlichen Nachrufen hieß, trifft indes allenfalls auf die Todesursache zu: einem extrem aggressiven Krebs-tumor, der Lemmys Hals und das Gehirn befallen hatte. Sorgen machen über seinen Gesundheitszustand mußten sich Freunde und Fans jedoch schon länger; in jüngster Zeit hatte er sichtbar abgebaut (JF 37/15). Die letzten Interviews mit ihm, die auf Youtube zu sehen sind, zeigen ihn abgemagert und mit eingefallenen Wangen. Er wirkte müde, kraftlos, wie ein Schatten früherer Jahre. Unwillkürlich kamen mir Textzeilen aus dem Song „I Don’t Believe a Word“ von dem Album „Overnight Sensation“ (1996) in den Sinn: „Ich habe den Teufel lachen sehen, / ich habe Gott wegschauen sehen. / Ich habe nichts mehr zu verlieren, / Ich habe nichts mehr zu sagen. / Ich habe gesehen wie der Himmel sich schwarz färbte. / Ich habe gesehen wie die Meere austrockneten. (…) Ich habe die Feuer der Hölle gesehen. / Ich habe Engel mit flammenden Schwertern gesehen. (…) Ich glaube kein einziges Wort, ich glaube kein einziges Wort.“


Der Tod ist der Anfang der Ewigkeit. Die Legende Lemmy wird in seiner Musik weiterleben. Als er 1975 Motörhead gründete, erklärte er deren künftigen Stil so: „Es wird die dreckigste Rock-’n’-Roll-Band der Welt sein. Wenn wir nebenan einziehen würden, würde dein Rasen eingehen.“ Nun ist mit Lemmys Tod zwar auch die Band Geschichte. Ihre besten Alben aber wird man weiter hören.