© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 53/15-01/16 vom 25. Dezember und 1. Januar 2016

„Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer“
Das Massaker von Wounded Knee: Vor 125 Jahren verübten US-Militärs einen Massenmord an Indianern in ihrem Reservat
Jan von Flocken

Es klingt kurios, aber der indianische Sieg am Little Big Horn 1876 läutete den Untergang der Ureinwohner Nordamerikas ein. Bei dieser Schlacht kamen der Kommandeur George A. Custer nebst 272 Kavalleristen ums Leben. Nach dem unerwarteten militärischen Debakel begann die US-Armee einen erbarmungslosen Rachefeldzug nach dem Motto des Generals Philip Sheridan: „Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer.“

Fünf Jahre später waren fast alle desorganisierten Indianerstämme in sogenannte Reservationen gepfercht, wo sie ein menschenunwürdiges Dasein fristeten und zu Tausenden dem Alkohol und Seuchen zum Opfer fielen. Ein Menetekel setzte der Tod vons Häuptling „Sitting Bull“, dem spirituellen Führer der Indianer am Little Big Horn. Er starb am 15. Dezember 1890 in der Standing Rock Reservation bei einer Schießerei, die man auch als gezielten Mord werten kann.

Ein Schuß löst das Gemetzel der US-Kavalleristen aus

Zu jener Zeit grassierte in den Zwangslagern vor allem der Sioux-Indianer die „Geistertanz“-Bewegung. Dabei verkündeten Propheten, es käme eine Zeit, in der alle Indianer sich vereinigen würden, um ohne Tod, Elend und Unterdrückung glücklich in der Prärie zu leben. Diese Massenbewegung werteten die zuständigen Behörden als politisch-religiösen Protest, dem Zwangsmaßnahmen folgten, darunter die Verbringung in noch strikter isolierte Reservationen. Damit sollte ein möglicher Aufstand schon im Keim erstickt werden.

Ende 1890 erhielt der Kommandeur des 7. US-Kavallerieregiments, Oberst James W. Forsyth, den Befehl, ein Lager der Sioux-Indianer im Bundesstaat South Dakota, benannt nach einem Nebenfluß des White River, dem Wounded Knee Creek, in eine Reservation westlich von Omaha zu deportieren. Am 29. Dezember trafen 438 Kavalleristen, 22 Mann Artillerie mit vier 42-mm-Gebirgskanonen und 30 indianische Späher vom Stamm der Oglala am Wounded Knee ein.

Die Sioux unter ihrem Häuptling Spotted Elk (gefleckter Elch), von seinen Bewachern als „Bigfoot“ (Riesenfuß) verspottet, wurden aufgefordert, ihre Feuerwaffen herauszugeben. Dann durchsuchten die Soldaten sämtliche Zelte. Oberst Forsyth, ein 56jähriger Veteran, der schon am Little Big Horn gekämpft hatte, schien die Zahl der eingesammelten Schußwaffen zu gering, er ordnete deshalb eine Leibesvisitation an. Nur der Medizinmann Yellowbird, ein Vorkämpfer der Geistertänzer, weigerte sich. Bei einem anderen Indianer namens Black Coyote fand sich ein verstecktes Winchester-Gewehr, das er nicht herausgeben wollte.

Die Beteiligten bekamen die Ehrenmedaille der USA

Was nun geschah, ist strittig. Nach offizieller Darstellung habe sich bei einer Rangelei plötzlich ein Schuß gelöst, worauf die Kavalleristen ein heftiges Feuer eröffneten. Ob Oberst Forsyth den Befehl dazu gab, ließ sich nicht mehr ermitteln. Tatsache bleibt, daß er die Verantwortung trug für ein Gemetzel, in dem bis zu 300 Indianer, auch viele Frauen und Kinder, starben. 

Etliches spricht dafür, daß es sich nicht um einen kaltblütig geplanten Massenmord handelte, sondern um einen spontanen Wutausbruch gespeist von Mißtrauen und Menschenverachtung. Daß 25 US-Soldaten zumeist im eigenen Feuer ums Leben kamen und 39 verwundet wurden, könnte das bestätigen. Der Augenzeuge Hauptmann Edward S. Godfrey berichtete: „Ich weiß, daß die Männer nicht bewußt zielten und sie sehr aufgeregt waren. Ich glaube nicht, daß sie ihre Visiere benutzten. Sie schossen sehr schnell, und es schien mir nur einige Sekunden zu dauern, bis kein einziges Lebewesen mehr vor uns stand. Krieger, Frauen, Kinder, kleine Pferde und Hunde gingen zu Boden durch diesen ungezielten Beschuß.“

Skandalös war freilich der Umstand, daß 20 der am Massaker von Wounded Knee Beteiligten die „Medal of Honor“ (Ehrenmedaille), die höchste militärische Auszeichnung der US-Regierung, erhielten. Der Vorgesetzte von Oberst Forsyth, General Nelson A. Miles, ordnete eine Untersuchung des Falles an, degradierte Forsyth und brachte ihn vor Gericht. Doch der amtierende Kriegsminister Redfield Proctor hob die Anweisung wieder auf und holte ihn zurück in seine alte Dienststellung. Für das Massaker hat sich Forsyth nie wirklich verantworten müssen. Später wurde er noch mehrfach bis zum Rang eines Generalmajors befördert.

Foto: Leiche eines abgeschlachteten Medizinmannes der Sioux, Wounded Knee 1890: Gespeist von Mißtrauen und Menschenverachtung