© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 53/15-01/16 vom 25. Dezember und 1. Januar 2016

Ein Herz für die Menschen
Missionare im Ausland: Warum sie freiwillig Dengue-Fieber, giftige Schlangen und Sprachprobleme auf sich nehmen
Elena Hickman

Sie hatte einfach genug: „Dich bring ich jetzt um.“ Entschlossen schnappte sie sich das Giftspray und fing an, die braune Kakerlake durch das ganze Eßzimmer zu jagen. Das Vieh hatte einfach nicht in der Ecke sitzen bleiben wollen und war in seinem Hin-und-her-huschen ihren Füßen irgendwann bedenklich nahe gekommen. Zu nahe.

Eigentlich hat Christine Wünch inzwischen gelernt, mit den Kakerlaken zurechtzukommen – als Missionarin auf den Philippinen ist das fast schon eine Berufsqualifikation. „Eine Zeitlang, hat mich jeden Morgen eine Kakerlake neben dem Wasserkocher in der Küche erwartet“, erinnert sie sich. Aber eine Arbeitsfläche mit hochgiftigem Insektenmittel zu besprühen sei leider keine so gute Idee, also „lernt man, damit zu leben“. 

Wer auf die Philippinen zieht, wird aber nicht nur mit allgegenwärtigen Kakerlaken konfrontiert. Auch Ameisen im Wasserkocher, Dengue-Fieber oder stillende Frauen auf Motorrädern sind in Deutschland eher selten zu finden. Wünch lebt seit ein paar Monaten in Cebu City, der Hauptstaat der Insel Cebu und ist dort von extremen Unterschieden umgeben: wunderschöne Sandstrände und dreckige Slums, luxuriöse Kaufhäuser und bettelnde Straßenkinder, freundlich lächelnde Gesichter und gleichzeitig eine tiefe Furcht vor bösen Geistern. Dort will sie den Menschen von ihrer Liebe zu Jesus erzählen. „Es war das einzige, das mir richtig erschien“, sagt die 28jährige. Während ihres Studiums hatte sie ständig das Gefühl, nicht genug Zeit für die wichtigen Dinge zu haben: „Jesus besser kennenzulernen und von ihm weiterzusagen.“ Deshalb hat sie sich der Missionsgesellschaft „Operation Mobilisation“ (OM) angeschlossen. Das Team auf den Philippinen veranstaltet beispielsweise Kinderstunden, in denen sie den Kleinen biblische Geschichten erzählen, Lieder singen und mit ihnen Bibelverse lernen. Im Anschluß gibt es dann immer etwas zu essen. Wünch besucht auch, mit einer anderen Missionarin, Frauen in einem Slum der Stadt. Gemeinsam basteln sie Schmuck, den die Frauen später verkaufen können, und sie lesen zusammen in der Bibel. 

Damit sich die Missionarinnen mit den einheimischen Frauen unterhalten können, ist es aber wichtig, die Sprache zu lernen. „Wir haben zunächst ein ganzes Jahr lang nur Thailändisch gelernt“, sagt auch Ruth Meier. Zusammen mit ihrem Mann und zwei Kindern lebt sie im Süden Thailands und ist bei OMF International Deutschland angestellt. Ihr Wunsch ist es, daß auch die Thais auf Jesus aufmerksam werden. „Deshalb wollen wir erst mal Kontakte zu den Menschen um uns herum knüpfen, damit daraus Freundschaften werden können“, erklärt Meier, die mit ihrem Mann auch Englischkurse anbietet und Kinderstunden hält. Dafür müssen sie aber nicht nur die Sprache lernen, sondern sich auch an die fremde Kultur gewöhnen – manchmal eine ziemliche Herausforderung. Beispielsweise „wird der Wahrheit keine hohe Priorität beigemessen, wenn sich der Gegenüber dadurch unwohl fühlen könnte“, sagt sie und erzählt weiter: „Neulich war eine giftige Schlange bei unseren Nachbarn im Vorgarten. Aber um uns nicht zu beunruhigen, haben sie uns erzählt, die Schlange sei nicht giftig.“ Da das Tier nach buddhistischer Tradition auch nicht getötet werden durfte, wurde großzügig eine ganze Flasche Ameisengift auf sie gesprüht. Halb betäubt kroch die Schlange langsam weg und ließ sich im Garten von anderen Nachbarn nieder. Dort wurde sie einfach von den Freunden liegengelassen – die Schlange ging sie ja nun nichts mehr an. „Solche Situationen zeigen uns, daß wir noch viel über die Kultur lernen müssen“, gesteht Meier. Es sei wichtig, zu wissen, daß das Leben in einer fremden Kultur ein lebenslanges Lernen beinhalte.

Fremde Kulturen – peinliche Fettnäpfchen

Das mußte auch Albert Maier feststellen. Er hat ein Jahr lang als OM-Missionar in Sambia gearbeitet und die ersten Monate in einem Zimmer mit 16 Afrikanern gewohnt. Ein Erlebnis, das nicht immer einfach für ihn war: „Mein Bettnachbar hat jeden Morgen um 4 Uhr, direkt neben meinem Kopf, seine Schuhe poliert“, erzählt er und schiebt hinterher, „meistens hab ich dann morgens im Bett Gott um Liebe gebeten“. Völlig ungewohnt war für ihn auch, „daß die Männer händehaltend durch die Gegend liefen“, sagt Maier mit einem Schmunzeln. In der sambischen Kultur sei das aber völlig normal und nach einiger Zeit „hab ich mich auch nicht mehr unwohl gefühlt, wenn ich bei einem Gespräch mit einem afrikanischen Mann Händchen hielt“. 

In einer fremden Kultur passiert es natürlich leicht, auch mal in ein Fettnäpfchen zu treten. „Ich war mit Kollegen in einem Straßenrestaurant essen“, erzählt Wünch, „und eine Frau kam mit ihren Kindern an den Eingang und hat um Geld gebettelt.“ Sie habe ihr Essen gekauft, Reis und ein Fleischgericht, und es ihr angeboten. Allerdings habe die Frau nur den Reis angenommen. „Ich dachte, die Frau ist nur schüchtern, also hab ich es ihr weiter hingehalten und sie fast schon gedrängt, das Essen anzunehmen“, sagt sie mit einem leichten Lachen. Als ihre philippinische Kollegin die Situation mitbekam, eilte sie ihr schnell zu Hilfe und erklärte, daß die Frau Moslemin sei. „Und ich muß natürlich genau das eine Gericht mit Schweinefleisch auswählen“, stöhnt Wünch halb verzweifelt. Sie habe der Frau noch ein Gemüsegericht gekauft und ihre Begleitung anschließend gefragt, woran sie erkannt habe, daß die Frau Moslemin sei. Anhand ihrer Kleidung sei das eindeutig gewesen, kam die Antwort. „Na ja, ich muß wohl noch viel lernen“, gibt Wünch zu.

Auch Maier konnte während seiner Zeit in Sambia mit Moslems in Kontakt kommen (allerdings auf weniger peinliche Art und Weise) und ihnen von seiner Beziehung zu Jesus erzählen, was ihn unglaublich gefreut hat: „Wir haben uns mit ihnen getroffen (manchmal sogar in einer Moschee), viel Tee getrunken und einfach über den Glauben gesprochen.“

Wie alle Missionare, die bei OM angestellt sind, lebte auch Maier in Sambia von Spenden. Freunde, Verwandte und seine Heimatgemeinde unterstützten ihn finanziell. Am Anfang, als er aufhörte zu arbeiten und nur noch von Spenden lebte, „da war ich schon unruhig“, gesteht der Kfz-Mechaniker, „der Gedanke: ich bin jetzt von jemand anderem abhängig – das hat mir schon ein mulmiges Gefühl gegeben“. Aber das Geld hat immer gereicht, auch wenn es manchmal knapp war. Er habe dann Gott einfach gesagt: „So, jetzt ist bald das Geld komplett ausgegeben und ich bräuchte eigentlich mehr.“ Und das Geld kam, teilweise sogar von Menschen, die er kaum kannte und die nichts von seinen aktuellen Geldproblemen wußten. 

Daß Missionare durch einen Spenderkreis finanziert werden, ist nicht ungewöhnlich. Die meisten Missionsgesellschaften arbeiten nach diesem Modell. Auch bei der Vereinigten Deutschen Missionshilfe (VDM) ist das so geregelt – dort ist Simon Rühl angestellt. Er wohnt mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn in Österreichs Hauptstadt Wien. Zugegeben, das ist nicht gerade der typische Missionsort, aber „ich habe ein Herz für Europa“, sagt Rühl begeistert, „gerade weil man denkt, daß es uns hier äußerlich ja so gut geht“. Aber er merke immer mehr, wie unsicher die Menschen eigentlich innerlich seien. Jeder Mensch habe eine Überzeugung, einen Glauben – auch wenn er es nicht so nennen würde. Und heutzutage „müssen die Menschen schnell eine Meinung zu einem Thema haben, ohne wirklich Ahnung davon zu haben“. Das sei auch die Herausforderung vieler Menschen, in bezug auf Jesus, sagt Rühl und zitiert sinngemäß einen amerikanischen Pastor: „Menschen lehnen Jesus und die Aussagen der Bibel ab, weil sie meinen, sie wissen, worum es geht. Aber letztlich lehnen sie falsche Vorstellungen von Jesus ab, den sie nicht wirklich kennen.“ Genau diese Menschen liegen Rühl am Herzen. Er unterstützt deshalb den Pastor der Gemeinde in Wien, predigt und versucht den Christen Mut zu machen, in ihrem Umfeld ein Zeichen zu setzen. „Ich will Christen ermutigen, zu zeigen, daß sie anders sind, aber nicht besser“, erzählt er leidenschaftlich, „wir haben eine Überzeugung, die es wert ist, sie zu teilen.“

„Weihnachten ist, was wir daraus machen“

Und für diese Überzeugung sind Missionare weltweit bereit, einiges in Kauf zu nehmen – auch den einen oder anderen Anflug von Heimweh, gerade in der Weihnachtszeit. „Die Menschen hier in Thailand haben keinen Bezug zur Weihnachtszeit“, sagt Meier bedauernd, „und wenn wir dann an Weihnachten an zu Hause denken, so schön und besinnlich, dann überkommt uns ein Anflug von Heimweh.“ Allerdings würde das nicht lange anhalten, gesteht sie, denn „wenn wir genauer drüber nachdenken, merken wir, daß die Zeit eigentlich nicht so besinnlich war, wie wir das in unserer Erinnerung gerne verklären“ – Regen, Kälte und viel Streß. Darum haben sie irgendwann gelassen entschieden: „Weihnachten ist das, was wir daraus machen.“ Inzwischen schmücken sie ihre Wohnung weihnachtlich, auch wenn keiner ihrer Nachbarn das tut, und backen Plätzchen bei sommerlichen Temperaturen. „Und wenn wir dann den thailändischen Kindern erzählen, was an Weihnachten passiert ist“, sagt Meier begeistert, „und die Kinder das zum ersten Mal hören, dann merken wir, was in dieser Zeit wirklich wichtig ist.“





Missionsgesellschaften

Operation Mobilisation e. V. (OM)

Der deutsche Zweig von OM wurde 1972 gegründet und arbeitet auf der Grundlage der Evangelischen Allianz. Die Arbeit von OM läßt sich in fünf Schwerpunkte unterteilen: Evangelisation, Entwicklungszusammenarbeit, Gemeindegründung, Menschenwürde und Mentoring. OM International ist mit rund 3.200 Mitarbeitern in mehr als 115 Ländern aktiv und steuert mit dem Missionsschiff „Logos Hope“ weltweit Häfen an.

OMF International Deutschland (OMF)

OMF wurde von dem Engländer James Hudson Taylor 1865 als China-Inland-Mission (CIM) gegründet und hat sich seitdem zu einem Netzwerk mit etwa 1.400 Mitarbeitern in ganz Ost- und Südostasien entwickelt. Ihr Motto lautet: „Herz für Asien. Hoffnung für Milliarden“. Wie auch bei OM kann die Einsatzdauer  der Missionare unterschiedlich lang sein – von einem Kurzeinsatz (drei Wochen) bis ein Leben lang. 

Vereinigte Deutsche Missionshilfe e.V. (VDM)

Die VDM wurde 1961 von genau den Menschen gegründet, denen sie auch bis heute dient: den Missionaren. Da die VDM keine eigene Missionsarbeit leistet,  arbeiten die Missionare mit einer Partnerorganisation. Mitarbeiter der VDM übernehmen stattdessen die rechtliche Betreuung, Beratung und Verwaltung der Missionare und entlaste sie, damit diese sich voll und ganz auf ihre Arbeit konzentrieren können.