© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 53/15-01/16 vom 25. Dezember und 1. Januar 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Auf der Suche nach Ideen
Elena Hickman

Die grauhaarige Frau war sichtlich bedrückt. „Ich habe gehört, daß heute Abend nur 67 Leute hier sind“, sagte sie kurz vor Veranstaltungsbeginn. „Es ist schon traurig, daß nur so wenig gekommen sind.“ Die Bundestagsfraktion der Grünen hatte vergangene Woche zu einer Gesprächsrunde unter dem Motto „15 Jahre nach PISA – Was brauchen Schulen in der Einwanderungsgesellschaft“ eingeladen. Das Gespräch fand im Paul-Löbe-Haus des Bundestags statt: Hätten die Veranstalter nur genausoviel Ideenreichtum in den Abend investiert wie die Architekten offensichtlich in das Gebäude – dann hätte die Veranstaltung sehr viel produktiver verlaufen können.

Statt dessen stellte der bildungspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Özcan Mutlu, gleich zu Beginn fest: „Die Herausforderungen der Bildungspolitik sind nicht weniger geworden, sondern werden mehr.“ Ob Deutschland den vielen Herausforderungen gewachsen sei? „Ich sehe das Ganze eher skeptisch, weil ich eben keine Gesamtstrategie auf der Agenda der Bundesregierung in dieser Frage sehe“, sagte Mutlu (der sich selbst als Optimist bezeichnete), „zumal wir ja auch diesbezüglich wenig Gestaltungsmöglichkeiten haben.“ Der Abend hätte hier beendet werden können.

„Kinder mit Migrationshintergrund schneiden in Deutschland schlechter ab als beispielsweise in der Schweiz“, gab sich der Direktor der Bildungsabteilung der OECD, Andreas Schleicher, nicht weniger pessimistisch. „Wo Schüler zur Schule gehen, ist wichtiger, als wo sie herkommen.“ Die soziale Integration sei ausschlaggebend, so der Experte, und besonders entscheidend für den Bildungserfolg sei die Unterrichtssprache. Das würde auch im internationalen Vergleich deutlich werden: „Die Schulen, denen Integration gelingt, legen sehr viel Wert auf Sprachunterstützung – und zwar nicht als Ersatz zum Schulunterricht (wie Willkommensklassen), sondern als Ergänzung zum regulären Unterricht.“ Damit wurde zwar noch nicht das eigentliche Problem benannt, aber zumindest schon mal eine Lösung angedeutet. Denn welche Frage den gesamten Abend lang nicht gestellt wurde: Woran liegt es denn, daß soziale Integration in Deutschland anscheinend nicht gelingt?

Um dieses heikle Thema schiffte auch die Direktorin des Berliner Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, Petra Stanat, erfolgreich herum. Gerade im Bereich der Sprachförderung fehle es den Schulen an guten Konzepten. „Es ist eben auch sehr schwierig, gute Sprachförderung zu betreiben“, sagte Stanat. Daß es besonders schwierig wird, wenn die Eltern nicht mitmachen und zu Hause den Kindern kein Deutsch beibringen, blieb ungesagt. Dafür wurde viel Zeit darin investiert, über das „Bildungsmonitoring auf der Systemebene“ zu sprechen: Strategien würden entwickelt, ohne anschließend evaluiert zu werden. Zugegeben, das sind tatsächlich suboptimal eingesetzte Gelder und Ressourcen. Die Teilnehmer waren sich in diesem Punkt auch einig – was von gefühlt allen Gästen anschließend noch einmal sehr ausführlich bestätigt wurde.