© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 53/15-01/16 vom 25. Dezember und 1. Januar 2016

Stich ins Wespennest
Innere Sicherheit: Nach der Verhaftung des salafistischen Predigers Sven Lau ist die islamistische Szene in Deutschland in Aufregung
Christian Schreiber

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ist offenbar auch in Berlin aktiv. In der vergangenen Woche sollen Anhänger in einer U-Bahnstation islamistische Parolen skandiert und Flugblätter verteilt haben. Immer häufiger stellen die Behörden Versuche militanter Islamisten fest, für den IS und den Kampf gegen die Ungläubigen zu werben. Für ihre Ziele nutzen sie nach Recherchen der Berliner Zeitung mindestens drei Moscheen in der Stadt sowie das Internet.

Ohnehin ist die radikale Islamistenszene in Deutschland in Aufregung. Die Verhaftung des „Haßpredigers“ Sven Lau auf Anordnung der Bundesanwaltschaft hat für helle Empörung gesorgt. Die Verhaftung werde von seinen Anhängern in den sozialen Netzwerken „als ungerecht und übertrieben“ dargestellt, berichtete der Chef des nord-rhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Burkhard Freier. Dies zeige, daß für die Extremisten „die demokratische Rechtsordnung kein Maßstab“ sei.

Die Sicherheitsbehörden schätzen, daß in der Bundesrepublik derzeit 1.100 gewaltbereite Islamisten leben. 430 Personen würden als so gefährlich angesehen, daß ihnen jederzeit eine schwere Straftat zuzutrauen sei, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, dem MDR. Die Übergänge zwischen den religiös-fundamentalistischen Salafisten und den Terroristen sind dabei fließend. Die salafistische Gemeinschaft in Deutschland hat sich in den vergangenen vier Jahren nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes verdoppelt: „Viele Salafisten wollen nur ihren strengen Glauben leben und doch es gibt auch eine radikale Minderheit, die nicht nur die weltliche Herrschaft ablehnt, sondern die staatliche Ordnung in Deutschland am liebsten beseitigen würde“, zitiert der Focus Erkenntnisse der Behörde. 

Offenbar gibt es auch Zusammenhänge zwischen der aktuellen Flüchtlingsproblematik und radikalen Islamisten. Verfassungsschutzpräsident Maaßen wies in der Mittelbayerischen Zeitung auf Versuche von Salafisten hin, unter Flüchtlingen in Deutschland neue Anhänger zu missionieren und zu rekrutieren. Dem Verfassungsschutz seien mehr als 150 solcher Vorgänge bekannt geworden, die im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften stattfanden. Sorge bereite auch die starke Zunahme der Zahl der Salafisten. „In Deutschland zählen aktuell über 8.350 Personen zu den Salafisten. Damit ist die Zahl in den letzten Monaten rasant angestiegen. Ende September waren es noch 7.900“, sagte Maaßen.

Auf die wachsende Zahl von Anhängern berufen sich Salafisten-Prediger wie Sven Lau oder Pierre Vogel. Dieser kritisierte die Festnahme seines Freundes „als Show, um die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen“. Lau, der den Sicherheitsbehörden erstmals als Initiator der sogenannten Scharia-Polizei aufgefallen war, wird die Unterstützung einer  terroristischen Organisation vorgeworfen. Er soll junge Männer für den Islamischen Staat angeworben haben. Kenner der Salafistenszene beobachten eine mögliche Spaltung. Der radikalere Teil, zudem neuerdings auch Lau zählen soll, hat sich unter dem Namen Jamwa (Armee der Auswanderer und Helfer) zusammengeschlossen und steht dem IS nahe. Andere bekennen sich zur al-Nusra-Front, die als Auslandsorganisation von al-Qaida gilt. Zu dieser Organisation soll auch „Chef-Prediger“ Vogel gehören. Die radikale Islamist ist den Behörden ein Dorn im Auge, weil er es versteht, hart an der Grenze des rechtlich Zulässigen zu agieren. „Prediger wie Sven Lau übernehmen eine Schlüsselrolle. Sie stellen ihre Ideale als Alternative zur Gesellschaft dar“, sagte der Experte Rolf Tophoven dem Focus. Allerdings sei ihr Verständnis des Islam „eine pervertierte Religion, die sie für ihre Zwecke mißbrauchen“.

Die Verhaftung Laus sei aber ein positives Signal, da es zeige, daß die Sicherheitsbehörden die Lage im Griff hätten, sagte Tophoven. Allerdings sei die Gefahr nicht zu unterschätzten. Islamistische Hochburgen wie Molenbeek in Belgien gebe es auch in Deutschland. Der Staat müsse auch präventiv arbeiten, denn nicht jeder Salafist sei gleich ein Terrorist. „Aber die Hemmschwellen sinken“, sagte Tophoven.