© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/15 / 18. Dezember 2015

Der Siegeszug der Verfolgten
Der Althistoriker Manfred Clauss arbeitet den fundamentalistischen Grundzug des frühen Christentums heraus
Felix Dirsch

Die Geschichte der Alten Kirche ist für den Historiker seit jeher ein anspruchsvoller Stoff. Ein kleines Häuflein Verlierer tritt einen weltgeschichtlich beispiellosen Siegeszug an. Schreckte der Paria-Status, der mit dem Christsein über Jahrhunderte verbunden war, nicht ab?

Nicht unbedingt, wie der Frankfurter Emeritus Manfred Clauss belegt. Der Althistoriker streicht den neuen Stellenwert heraus, der dem Christentum – oder genauer: den Christentümern – im Römischen Reich zukam. Anders als die unzähligen Konkurrenzkulte hoben diese Varianten der neuen Religion allesamt auf den Wahrheitsgehalt der Lehre ab. Man grenzte sich inhaltlich sowohl gegen die heidnische Umgebung als auch gegen (als häretisch empfundene) Strömungen innerhalb der eigenen Gemeinschaft dezidiert ab. Wie die Juden, aber im Unterschied zu fast allen anderen Kulten, lehnten die Christen die Verehrung des Kaisers als Gott ab, die jedoch ein entscheidendes zivilreligiöses Band des Römischen Reiches darstellte. Mit dieser Herangehensweise an eine solche zelotische Haltung, die sich in den Quellen der Alten Kirche oft findet, schließt Clauss an neuere Kontroversen an, wie sie Jan Assmann angestoßen hat. Sie wollen das implizite wie explizite Gewaltpotential, das monotheistische Religionen beinhalten, thematisieren. Was sticht etwa beim Studium der Märtyrerakte hervor? Aus der Fülle der Quellen fällt nicht zuletzt neben dem Glaubenseifer der Trend zum Selbstopfer auf. Die Vorstellung war verbreitet, durch die „Bluttaufe“ direkt in den Himmel zu kommen – schließlich ahmte man so den Stifter nach.

Kaiserkult als Wohl und Wehe des Christentums

Die meisten Christen hingen jedoch am Leben und mußten sich mit weltlichen Anforderungen arrangieren, was besonders schwierig wurde, weil die staatlichen Stellen auf die Einhaltung des Kaiserkults pochten. Eine Frage, die sich für die junge Glaubensgemeinschaft spätestens ab dem 2. Jahrhundert stellte, war die des Umgangs mit den weniger Standhaften, die sich gleichwohl zur Kirche zählten. Was macht man mit jenen, die sich bezahlte Opferbescheinigungen ausstellen ließen, um die Götzenhuldigung nicht leisten zu müssen? Zeigten sie nicht dadurch, daß sie das Dasein im vermeintlichen Jammertal der Blutzeugenschaft für den Herrn vorzogen? Bald tobten heftige Kämpfe um Rechtgläubigkeit in den kirchlichen Kommunitäten.

In der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts gingen die staatlichen Autoritäten nach bisweilen blutigen Verfolgungen vom Opferzwang zur Duldung über. Befolgung oder Ablehnung des Staatskults war nach wie vor der Zankapfel, nicht die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe. Den Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche kam ein existentieller Status zu, weil die Vorstellung dominant war, die Verweigerung der traditionellen Speise- und Trankopfer habe ein Erzürnen der Götter zur Folge.

Clauss zeichnet das Wachstum kirchlicher Amts- und Organisationsstrukturen ausführlich nach. Sozial-, kultur- und alltagsgeschichtliche Aspekte stellt der Autor ausführlich dar, darunter das bis heute vieldiskutierte Verhältnis der frühen Christen zu Ehe und Sexualmoral, ebenso die zahllosen dogmatischen Dispute. Auch die stets als weitreichende Zäsur empfundene sogenannte konstantinische Wende wird zum Thema eindringlicher Erörterungen, wobei Clauss, der sich von Einflüssen der traditionell apologetisch ausgerichteten Kirchenhistorie möglichst befreien will, eher die Kontinuitäten beschreibt. Der Staat, personifiziert vom Kaiser, will durch weitgehende Identifikation mit einer bestimmten religiösen Wahrheit das Gemeinwohl stabilisieren: ein Reich, ein Kaiser, ein Gott. Dieses Motto bleibt unter neuen Vorzeichen Programm des Herrschers. Nunmehr werden Abweichler von der dogmatischen Linie der mit dem Staat verbündeten christlichen Orthodoxie mit ähnlichen Mitteln verfolgt wie das Christentum noch unter den Kaisern Diocletian und Decius.

Natürlich geht Clauss auch auf das epochemachende Konzil von Nicäa ein, das die Gottheit Jesu nach langen Kämpfen festlegte. Als „Oberpriester“ dieser Kirchenversammlung fungierte der noch ungetaufte Konstantin, der wahrscheinlich aus Kalkül das junge Christentum als Kult für den von ihm verehrten Sonnengott heranzog. Die Christianisierung des Reiches verlief schrittweise. Erst zwei, drei Jahrhunderte später war sie vollendet. Die neue Situation brachte für die Kirche aber auch Nachteile, die allesamt herausgearbeitet werden. Die Paganisierung des Christentums war im Verlauf der Jahrhunderte wohl nicht schwächer als die Christianisierung des Heidentums.

Clauss verbleibt im verbindlichen Radius der Forschung. Vielleicht darf der Fachmann nicht erwarten, daß bei so oft beschriebenen Geschehnissen viel Neues herauskommt. Vielleicht hätte der Verfasser etwas mehr auf die alte, grundlegende Frage der Patrologie eingehen können, warum sich das Christentum angesichts der Vielzahl der antiken Kulte durchsetzen konnte. 

Manfred Clauss: Ein neuer Gott für die alte Welt: Die Geschichte des frühen Christentums. Rowohlt-Verlag, Berlin 2015, gebunden, 544 Seiten, 34,95 Euro