© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/15 / 18. Dezember 2015

Befreiung nur auf dem Papier
Vor 150 Jahren wurde in den USA über den 13. Zusatzartikel die Sklaverei offiziell beendet
Jan von Flocken

Abraham Lincoln verkündete 1860 im Wahlkampf um die US-Präsidentschaft: „Ich trete heute so wenig wie früher dafür ein, daß zwischen der schwarzen und der weißen Rasse in irgendeiner Form soziale oder politische Gleichheit herbeigeführt werde. (...) Es gibt eine physische Verschiedenheit zwischen der weißen und der schwarzen Rasse, die es für immer ausschließen wird, daß diese beiden Rassen auf dem Fuße sozialer und politischer Gleichheit miteinander leben.“

Die Abschaffung der Sklaverei war für Lincoln, der aus den Nordstaaten stammte, ein nebensächliches Ziel. Er selbst sagte, wenn ihm die Bewahrung der geeinten USA gelänge, ohne einen einzigen Sklaven zu befreien, so würde er das ohne Bedenken tun. Im Gegensatz zu allen neuzeitlichen Verklärungen des US-Präsidenten zum Säulenheiligen der Demokratie agierte Abraham Lincoln tatsächlich als nüchterner und, wenn es sein mußte, beinharter, skrupelloser Politiker. Er teilte nicht die bigotten und hysterischen Auffassungen vieler Amerikaner im Norden, die durch Kolportage-Romane wie „Onkel Toms Hütte“ (1852) grotesk verzerrte Vorstellungen über die Lage der Schwarzen im Süden hegten.

Wie sah es dort in Wirklichkeit aus? Europäer, denen die Sklaverei besonders archaisch und unmenschlich vorkommen mußte, berichteten Erstaunliches. Der englische Naturwissenschaftler Charles Lyell hielt sich 1849 mehrere Monate auf einer typischen Südstaaten-Plantage auf, Hopeton am Altamaha River (Georgia), wo etwa 500 Sklaven wohnten. Dort stellte er fest: „Im Vergleich mit dem Lebensstandard der weißen Dienerschaft in Europa erfreuen sich die Schwarzen hier vieler Vorteile.“ Zum Verhältnis zwischen Herren und schwarzen Sklaven fiel ihm auf: „Die Negermütter sind oft so unwissend und nachlässig, daß man sich nicht darauf verlassen kann, daß sie wachbleiben und ihren kranken Kindern die verordnete Medizin verabreichen. Daher wacht die weiße Herrin oft selbst die ganze Nacht bei einem kranken Negerkind.“ Sie tue das, so Lyell weiter, „aus zwei ganz verschiedenen Beweggründen – aus einem Gefühl des Mitleids und aus der Angst, die Arbeitskraft eines Sklaven zu verlieren. Aber derartige Aufmerksamkeiten binden die Sklaven fest an ihre Besitzer.“

Sklavenbefreiung sollte nur in den Südstaaten gelten

Die schwedische Frauenrechtlerin Fredrika Bremer wunderte sich während einer Reise im tiefen Süden 1851: „So besuchte ich mehrere Hütten und Zelte im Lager der Schwarzen. Es war Essenszeit, und ich sah auf allen Tischen große Schüsseln mit Fleischspeisen aller Art, Puddings und Torten; es schien einen regelrechten Überfluß an Speisen und Getränken zu geben.“ Bremers Fazit in ihrem Buch „Heimat in der Neuen Welt“ (1853): „Die Schwarzen schienen fröhlich, glücklich und friedlich zu sein.“ Selbst die britische Soziologin Harriet Martineau, eine Kämpferin gegen jegliche Sklaverei, schrieb nach ihrem Besuch der Südstaaten: „Das ländliche Leben hier war recht abwechslungsreich und überaus fröhlich. (...) Die ungewöhnliche Lebensart, die dort herrscht, wo es Sklaven gibt, bietet viele Annehmlichkeiten.“ („Society in America“, 1837)

Auch das Verhalten der schwarzen Sklaven gibt zu denken. Obwohl sie mit 3,521 Millionen fast 35 Prozent der Bevölkerung im Süden stellten, gab es weder eine Aufstandsbewegung noch gewaltsame Widersetzlichkeiten oder massenhafte Flucht aus der Unfreiheit. In der Zeit nach 1850 unternahmen jährlich ganze 115 Schwarze einen Versuch zu entkommen, obwohl zahlreiche gut organisierte Fluchthilfeunternehmen des Nordens ihnen die Sache sehr erleichtert hätten.

Als sich 1861 elf Südstaaten im Einklang mit der US-Verfassung von der Union lossagten und einen eigenständigen Staat, die Konföderierten Staaten von Amerika (CSA), gründeten, ging es Präsident Lincoln um eine gewaltsame Wiederherstellung der Einheit. Im darauf folgenden Krieg erlitten die US-Truppen 1861/62 schwere Niederlagen und die Moral der Bevölkerung sank bedenklich. Erst in dieser Situation entschloß sich Lincoln, ein symbolisches Zeichen zu setzen.

Am 22. September 1862 verabschiedete die US-Regierung eine „Emancipation Proclamation“, wonach die schwarzafrikanischen Sklaven in Nord-amerika ab dem Folgejahr frei sein sollten. Wörtlich hieß es: „Alle Personen, die als Sklaven gehalten werden, sollen am ersten Tag des Januar des Jahres unseres Herrn 1863 in jedem Bundesstaat oder abgegrenzten Teil eines Bundesstaates, dessen Bevölkerung sich dann noch in Rebellion gegen die Vereinigten Staaten befindet, von da an und für immer frei sein.“ Mit anderen Worten: Diese Proklamation galt nur für die konföderierten Staaten im Süden.

Die US-Regierung, laut ihrem militärischen Oberbefehlshaber General George B. McClellan „ein Haufen herzloser Halunken“, wußte sehr wohl, daß  die Befreiungsproklamation von 1862 nur Schaumschlägerei war. Voll zynischer Offenheit erklärte Außenminister William Seward: „Wir bezeugen unsere Sympathie für die Sklaven, indem wir sie dort befreien, wo wir sie nicht erreichen können, und dort in Knechtschaft lassen, wo wir sie befreien könnten.“

Erst Anfang 1865, als der Sieg so gut wie feststand, drückte Lincoln eine Sklavenbefreiung auf dem gesamten Territorium der USA durch. Das sollte nicht durch ein schlichtes Gesetz festgeschrieben werden, sondern besondere rechtliche Weihen als 13. Zusatzartikel der US-Verfassung erhalten. Er lautete: „Weder Sklaverei noch Zwangsarbeit dürfen, ausgenommen als Strafe für ein Verbrechen aufgrund eines rechtmäßigen Gerichtsurteils, in den Vereinigten Staaten (von Amerika) oder in irgendeinem Gebiet unter ihrer Gesetzeshoheit existieren.“

Der Zusatzartikel mußte vom Kongreß mehrheitlich verabschiedet werden. In diesem Parlament gab es aber vor allem seitens der Demokratischen Partei erhebliche Einwände gegen das Vorhaben, weil damit eine essentielle Frage der Enteignung privaten Eigentums (in diesem Fall an Sklaven) verbunden war. Lincoln ließ nun mit allen Mitteln der Bestechung, Täuschung, Überredung und Drohung arbeiten, bis die nötige Zweidrittelmehrheit am 31. Januar 1865 zustande kam. Steven Spielbergs Film „Lincoln“ (2012) gibt diese Situation, wenn auch anekdotenhaft ausgeschmückt, durchaus realistisch wieder. Nach Ratifizierung durch die einzelnen Bundesstaaten, – wobei unglaubliche Korruption im Spiele war – trat der 13. Zusatzartikel vor 150 Jahren, am 18. Dezember 1865, in Kraft

Fortsetzung der Ausbeutung in den Fabriken des Nordens

Für die solcherart mit der Freiheit Beglückten bot sich indes ein trauriges Bild: Ehemalige Sklaven, die von ihren nunmehr völlig verarmten Herrschaften nicht mehr betreut werden konnten, irrten ziellos im Land umher. Tausende starben an Hunger, Krankheiten und Kälte. Wer eine Beschäftigung in den Fabriken des Nordens fand, mußte häufig feststellen, daß die Arbeitsbedingungen dort noch um einiges unmenschlicher und ausbeuterischer waren als das Plantagenleben im besiegten Süden. Als Menschen zweiter Klasse wurden die Schwarzen auch im angeblich so freiheitsliebenden Norden behandelt.

Mehr als einhundert Jahre sollten noch vergehen, bis eine rechtliche Gleichstellung der schwarzen US-Bevölkerung endlich in der Realität erreicht war.

Foto: US-Rassentrennung trotz Sklavenbefreiung, Sommerfest in Alabama 1935: Politische und soziale Gleichheit ausschließen (Abraham Lincoln)