© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/15 / 18. Dezember 2015

Vom Winde verweht
Kolmannskuppe – die deutsche Diamantengräbersiedlung: Spurensuche in der Wüste Namib
Kai Althoetmar

Ein heftiger Wind fegt vom Atlantik durch die Wüste Namib in Richtung Diamantensperrgebiet. Feiner Sand dringt durch Fenster und Türritzen der wildwestartigen Kolonistenhäuser von Kolmannskuppe. Meterhoch türmt sich der Sand in den Stuben und Dielen, gleißendes Sonnenlicht strömt durch die Fenster, deren verwitterte Läden schief aus den Angeln hängen. Niemand lebt hier mehr. Außer vielleicht ein paar Geckos und Skorpionen. 

Ein Trupp Touristen stapft einer jungen Fremdenführerin hinterher. Ortstermin in einer restaurierten Vorzeigestube. „Und hier sehen Sie, wie so ein deutscher Diamantengräber damals gelebt hat.“ Feldbett, Kommode, Nachtgeschirr, Eßgeschirr, Kaiser Wilhelm in Öl – Puppenstubenromantik in Südwestafrika. „Bitte folgen Sie mir nun in die Turnhalle!“ Auch die wurde konserviert: Reck, Pferd und Barren stehen da, als hätten sich eben noch Soldaten der kaiserlichen Schutztruppe mit Klimmzügen für den nächsten Herero-Aufstand gerüstet. Auf Kaisers Kegelbahn darf jeder mal in die Vollen werfen.

Kolmannskuppe, die einstige deutsche Diamantengräbersiedlung in Südwestafrika, dem heutigen Namibia, ist eine Geister- und Museumsstadt. Während der Endphase des deutschen Kaiserreichs war der Ort voller Leben, ein Vorposten deutscher Lebensart in Afrika.

Zur Jahrhundertwende lag Europa im Kolonialfieber. Deutschland hatte es auf Südwestafrika abgesehen. 1883 legte der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz mit seiner Brigg in der Bucht von Angra Pequena an, dem heutigen Lüderitz. Sein Vertrauter Heinrich Vogelsang schwatzte dem Nama-Häuptling Joseph Frederiks das Land im Umkreis von fünf Meilen um die Bucht ab. Preis: 10.000 Reichsmark und 260 Gewehre. 

Weitere Landkäufe folgten. 1884 die Berliner Konferenz: Ganz Südwestafrika wurde deutsches Schutzgebiet. Die Siedler forderten Schutz. Der junge Kaiser Wilhelm II. entsandte die Schutztruppe. 1908 wurde die Bahnstrecke von Lüderitzbucht nach Keetmannshoop fertiggestellt. Der thüringische Eisenbahnbeamte August Stauch kontrollierte den Gleisabschnitt zwischen Lüderitz und der Station Grasplatz. Schwarze mußten den Flugsand von den Gleisen schaufeln. Stauch schärfte seinen Männern ein, auf ungewöhnlich aussehende Steine zu achten.

Am 14. April 1908 kam der Arbeiter Zacharias Lewala mit einem Fund zu Stauch. Der versuchte mit dem Stein am Glas seiner Taschenuhr zu kratzen. Es gelang, der Stein war härter als Glas: ein Diamant! Stauch hielt den Fund erst geheim, kaufte die Schürfrechte für das Gelände, steckte Claims ab und stellte Kontraktarbeiter ein. Bis Ende 1908 waren 39.000 Karat Rohdiamanten ausgebuddelt. Stauch wurde zum Diamantenkönig von Deutsch-Südwest. Hunderte, dann Tausende Glücksritter machten sich auf die Socken.

Die Reichsregierung setzte dem Treiben ein jähes Ende. Bereits am 22. September 1908 erklärte sie einen hundert Kilometer breiten Küstenstreifen vom 26. Breitengrad bis zur südafrikanischen Grenze zum Diamantensperrgebiet. Das Gebiet wurde der flugs gegründeten Deutschen Diamanten-Gesellschaft unterstellt. Die stellte eigene Leute an: deutsche Handwerker und Ingenieure, schwarze Kontraktarbeiter. 

Fortan verdiente das Kaiserreich. 1910 war der fünfzehn Kilometer von Lüderitz entfernte Ort bereits eine boomende Wüsten-oase, das Pro-Kopf-Einkommen der Kleinstadt das höchste Afrikas. Bis 1914 wurden tausend Kilo Diamanten gewonnen.

Die deutschen Kolonisten von Kolmannskuppe lebten komfortabel. Häuser wurden im Wüstensand hochgezogen, für die Chefs Jugendstilvillen mit Giebeldächern und verglasten Veranden. Es gab eine Schule mit Turnhalle und Ballsaal, Fußballplatz, Krankenhaus, Postamt, Bäckerei, Metzgerei, Gemischtwarenladen, Restaurants, eine Blockeis-Anlage. Strom, Wasser und Unterkunft waren für die Kolonisten umsonst.

In der Schule paukten bis zu vierundvierzig Kinder das Einmaleins und lasen Schiller. Der Pfarrer kam mit dem Motorrad aus Lüderitzbucht zum Gottesdienst, der im Klassenzimmer gefeiert wurde. Die weniger frommen Kolonisten fuhren sonntags nach Lüderitzbucht. So manches Monatssalär verflüssigte sich dort in der Bar von „Kapps Hotel“. Gezahlt wurde gerne in Karat.

Sogar das Bier wurde aus Deutschland geliefert

Bis zu vierhundert deutsche Siedler lebten in Kolmannskuppe – trotz des permanenten Wüstenwindes, der mit bis zu hundert Sachen durch die Namib fegt. Metallschilde schützten die kleinen Vorgärten vor Verwehungen. Die fast tausend schwarzen Kontraktarbeiter, die die Schürfarbeit verrichteten, waren außerhalb des Ortes in Sammelunterkünften untergebracht. 

Die Deutsche Diamanten-Gesellschaft und später die südafrikanische Minengesellschaft Consolidated Diamond Mines (CDM) verdienten in Kolmanskuppe prächtig. Ihr Nachfolger, die namibische Namdeb, eine fünfzigprozentige Tochter des de Beers-Konzerns, tut es noch heute – wenn auch in anderen Abschnitten des Sperrgebiets. Weiter südlich gab es 1928 neue Funde. An der Küste entstanden die Diamantencamps von Elisabethbucht, Pomona, Charlottenthal und Bogenfels. Das Schürfmonopol setzte die 1920 gegründete CDM rigoros durch. Das Gebiet vom Oranje im Süden bis hinauf nach Lüderitz blieb Diamantensperrgebiet – bis heute. Die Diamantenpolizei war nie zimperlich. Schon in den 1920er Jahren hatten die Schürfer nach getaner Arbeit Röntgenapparate zu passieren. Verschluckte Diamanten kamen so wieder zum Vorschein.

Was in Deutsch-Südwest fehlte, brachten Ozeanriesen der Woermann-Linie – vom Bauholz bis zum Grammophon. Der Deutsch-Südwester Willi Bartens, Jahrgang 1919, der in Kolmanskuppe aufgewachsen war und kürzlich verstorben ist, erinnerte sich: „Lüderitzbucht hatte in den 1920er Jahren seine Blütezeit. Alles, was in Kolmannskuppe verbaut wurde – jede Eisenbahnschiene, jede Schraube – kam aus Deutschland. Sogar das Bier kam in Kisten aus Deutschland, jede Flasche in einer Strohhülse.“

Willi Bartens, dessen Vater 1904 nach Deutsch-Südwest eingewandert war, ging in Kolmannskuppe zur Privatschule der CDM und machte danach eine Schlosserlehre. Der Feierabend war vom Vereinsleben bestimmt: „Montagabend Musikprobe der Kapelle des Turnvereins Kolmanskuppe. Dienstagabend Turnen in der Halle. Mittwochs Männerchor. Donnerstags Pfadfinder. Freitags wieder Turnen. Sonnabends war dann nichts.“

Die „Südwester-Deutschen“ waren keine Feinde des Kaiserreichs. Eher waren sie die noch treueren Patrioten, erst recht, nachdem die Schutztruppe 1915 gegen die britisch-südafrikanischen Verbände die Waffen strecken mußte. Sonntags marschierte der junge Bartens mit seinen Brüdern für das Reichssportabzeichen durch die Namib, während der Vater, der werktags Hochspannungsleitungen reparierte, Antilopen schoß. 

Deutsche Frontkämpfer gründeten nach Kriegsende in Kolmanskuppe ihren „Stahlhelm“, da war die Hälfte der „Südwester“ von den Südafrikanern längst „heim ins Reich“ zwangsrepatriiert worden – während von Süden Buren zuwanderten. Adolf Hitler erschien den verbliebenen Deutschen als einer, der sie aus der „burischen Knechtschaft“ erlösen würde. Bartens: „Wir waren mittendrin, obwohl wir weit weg waren.“

19jährig suchte er den deutschen Konsul auf. Er wollte sich als Freiwilliger für Wehrmacht oder Reichsarbeitsdienst melden – und wurde abgelehnt. „Es hat nicht sollen sein“, erinnerte er sich im Gespräch und war froh darüber, „denn viele Südwester sind drüben gefallen“.

1956 gingen die letzten Siedler fort

Statt Stalingrad und „totalen Krieg“ erlebte Bartens den Niedergang von Kolmanskuppe. In Oranjemund, wo der Oranje in den Atlantik mündet, waren die Diamantenvorkommen ergiebiger – bis heute. Schon 1930 wurde die Mine von Kolmanskuppe dichtgemacht, weil die Vorkommen um Lüderitz nahezu erschöpft waren. Die Magazine und Werkstätten von Kolmanskuppe aber wurden von den anderen Minen weitergenutzt. 1939 baute CDM weiter Stellen ab. Die Familie Bartens zog nach Windhuk. Kolmanskuppe wurde zur Geisterstadt. 1956 gingen die letzten sieben Familien fort.

Die Wanderdünen der Namib nahmen den Ort in Besitz. Souvenirjäger plünderten, was nicht niet- und nagelfest war. 1980 begann CDM, einzelne Häuser wieder auszugraben und instandzusetzen und Originalmöbel aus Privatbesitz zurückzukaufen. Heute ist der Ort Museum mit 30.000 Besuchern im Jahr. Touristen suchen im Sand der Namib eine untergegangene Ära: die Kolonialzeit Deutsch-Südwestafrikas, die 1915 vom Winde verweht wurde.




Freilichtmuseum Kolmannskuppe

Das Freilichtmuseum Kolmanskuppe liegt etwa 15 Kilometer vor Lüderitz an der Fernstraße B4 gegenüber dem Lüderitz Airport. Geöffnet ganzjährig von 8 bis 13 Uhr (außer Weihnachten und Neujahr). Deutsch- oder englischsprachige Führungen (45 bis 60 Minuten) montags bis samstags jeweils 9.30 und 11 Uhr, sonntags und feiertags 10 Uhr. Eintritt pro Person inklusive Führung: 65,00 Namibia-Dollar (ca. 4,50 Euro). Namibia Tourism Board, Schillerstraße 42-44, 60313 Frankfurt/Main. Tel. 0049 (0) 69 13 37 36-0, Fax 0049 (0) 69 13 37 36-15. E-Mail: info@namibia-tourism.com.