© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/15 / 11. Dezember 2015

Im Dickicht hinter den Linien
Stay-Behind-Organisation: Erich Schmidt-Eenboom und Ulrich Stoll lichten das Dunkel über die Nato-Partisanen im Kalten Krieg
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges spitzte sich die Lage durch die aggressive Außenpolitik kommunistischer Staaten zu: 1948 durch die sowjetische  Blockade der alliierten Westsektoren Berlins, 1950 durch den Angriff des kommunistischen Nordkoreas auf Südkorea. Im Westen befürchtete man, daß Stalins Armeen jederzeit zum Schlag gegen Westeuropa ausholen könnten. Nach lediglich drei Tagen stünden sie am Rhein, so die Prognose, und selbst dort würde die Rote Armee nicht haltmachen. 

Angesichts dieser Bedrohung bauten die US-Amerikaner und die Briten sowie einige weitere Länder die Stay-Behind-Organistion (SBO) auf, deren Angehörige im Falle einer Okkupation als Partisanen eingesetzt werden sollten. In Italien wurden mindestens 200, den Niederlanden 135, in Belgien und Frankreich jeweils 100, in Dänemark 60 und in Luxemburg 16 solcher Untergrund-Kämpfer ausgebildet. Mit Hilfe der CIA wurden zumeist in Wäldern Verstecke mit Waffen, Sprengstoff und modernsten Funkgeräten angelegt, das galt sogar für das neutrale Österreich. 

Auch die Briten bauten sehr bald nach 1945 im Westen Deutschlands und in Österreich eigene SBO-Ausrüstungslager auf. Da London nie Zugang zu diesen Unterlagen gewährte, ist deren genaue Anzahl und Lage sogar den Regierungen in Berlin und Wien heute noch unbekannt. Die unabhängig existierende Schweizer Schattenarmee P-26 wurde teilweise in England ausgebildet, britische Offiziere kamen zu ihrer Unterstützung sogar heimlich in die Eidgenossenschaft. Die Schweizer arbeiteten zwar nicht mit bundesdeutschen Aktivisten direkt zusammen, es existierte aber eine Partner-Schleusungsquelle, die im Notfall bestimmte Deutsche über die Grenze schmuggeln sollte. Sehr hilfreich beim Aufbau westdeutscher SBO-Gruppen war zumindest ihre Broschüre „Der totale Widerstand. Kleinkriegsanleitung für Jedermann“.

Geheime Übungsplätze der CIA im Odenwald

Deutschland, dessen Ostteil von den schlagkräftigsten sowjetischen Angriffs-armeen besetzt war, spielte angesichts seiner geographischen Lage eine entscheidende Rolle und wird in dem Buch des Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom und des ZDF-Journalisten Ulrich Stoll daher ausführlich dargelegt. Vieles deutet darauf hin, daß der Aufbau dieser Partisanen-Organisation in anderen Staaten ähnlich verlief, zudem die Amerikaner und Briten dort in der Regel auf aktive Soldaten und Geheimdienstler zurückgreifen konnten. 

Im Nachkriegsdeutschland standen nur frühere Wehrmachtsoffiziere und SS-Angehörige zur Verfügung, deren Vergangenheit die CIA-Werber nach 1946 aber kaum mehr interessierte. Früh entstand der antikommunistische „Bund Deutscher Jugend“, aus dem sich 1950 der „Technische Dienst“ bildete. Jahre später umfaßte dieser bereits 7.000 Mitglieder und damit etliche potentielle Stay-Behind-Kämpfer. In seiner als „Erholungsheim“ getarnten Partisanenschule im Odenwald wurden jede Woche bis zu 15 Teilnehmer in Schieß- und Sprengübungen gedrillt. Bald jedoch lief die Ausbildung nicht nur auf den Kampf nach dem Tag X hinaus, sondern hatte  immer mehr den Charakter, auf einen Bürgerkrieg vorzubereiten: Es kursierten sogar Listen unliebsamer Persönlichkeiten, meist Sozialdemokraten oder Altkommunisten, die es dann zu beseitigen galt. Mit der daher nicht aus der Luft gegriffenen Begründung, der „Technische Dienst“ verstoße gegen die Verfassung, wurde dieser schon 1953 verboten.

Einen Teil der Männer übernahm 1956 der Bundesnachrichtendienst, einstige SS-Mitglieder wurden aber Anfang der sechziger Jahre ausgemustert. Stattdessen gliederte der BND die etwa 500 SBO-Männer ein, welche französische, dänische oder holländische Dienste im Westen Deutschlands angeleitet hatten. Bereits vor 1949 nahm der BND-Vorgänger, die Organisation Gehlen, Funkverbindung zu den Diensten in der Schweiz, Frankreich und Dänemark auf, da diese im Kriegsfall von besonderer Bedeutung wären. 1954 umfaßte die Stay-Behind-Organisation in der Bundesrepublik schon 75 Stützpunkte. Diese befanden sich meist in der Nähe von Flugplätzen oder Bahnknotenpunkten. Vor dort sollten die Aktivisten nach ihrem Überrollen durch die Sowjettruppen über Funk Lageberichte übermittelt werden. 

Eine recht gute Zusammenarbeit bestand mit der französischen, belgischen und gerade auch luxemburgischen SBO. Die Verwicklungen in Anschläge (Oktoberfestattentat 1980) oder die 2013 in Luxemburg aufgedeckten Ungereimtheiten der „Bombenlegeraffäre“ aus den achtziger Jahren richteten immer wieder die Aufmerksamkeit auf die Stay-Behind-Organisation oder die damit in Zusammenhang stehende paramilitärische Organisation Gladio, ohne freilich Licht ins Dunkel zu bringen.

Nach der Wende 1990 wurde die SBO des BND in aller Stille aufgelöst. Vieles ist bis heute ungeklärt, nicht wenige Dokumente sind vernichtet oder verschwunden. Das äußerst interessante Buch ist daher als Versuch zu werten, ein dunkles Kapitel des Kalten Krieges wenigstens etwas aufzuhellen.

Erich Schmidt-Eenboom, Ulrich Stoll: Die Partisanen der Nato. Ch. Links-Verlag, Berlin 2015, gebunden, 304 Seiten, 22 Euro