© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/15 / 11. Dezember 2015

Der Bock als Gärtner
Stephan Kramer: „Kämpfer gegen Rechts“ ist Thüringens Verfassungsschutzchef
Michael Paulwitz

Ausgerechnet Stephan Kramer. Seit dem ersten Dezember ist der ehemalige Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, der sich in dieser Position vor allem als Polemiker und Polarisierer hervorgetan hat, Präsident des Verfassungsschutzes in Thüringen. Damit ist er Chef einer Behörde, die er selbst ebenso wie der Regierungschef des Freistaats, Bodo Ramelow (Linkspartei), noch vor wenigen Jahren am liebsten abgeschafft gesehen hätte. 

Das ist nicht die einzige überraschende Wendung an dieser Personalie. Um den offenkundigen Wunschkandidaten an die Spitze der Landesbehörde zu hieven, mußte Rot-Rot-Grün die gesetzliche Grundlage arg strapazieren. „Das Amt des Präsidenten“, heißt es im Thüringer Verfassungsschutzgesetz, „soll nur einer Person übertragen werden, die die Befähigung zum Richteramt besitzt“ – also beide juristische Staatsexamina bestanden hat. Auf Kramer, der das Jura-Studium nach etwa 15 Jahren ohne Abschluß abgebrochen hat, trifft das nicht zu. Das Wörtchen „soll“ eröffne ja einen „eingeschränkten Ermessensspielraum“, den man hier nutze, redet sich das Innenministerium heraus. Kramer selbst hat erst dieses Jahr an der Fachhochschule Erfurt einen „Master“-Abschluß in Sozialpädagogik erworben. Ein Schelm, wer vermutet, da hätte einer im Zuge der Vorbereitung auf einen Karrieresprung den Hinweis erhalten, rechtzeitig für irgendeinen akademischen Abschluß zu sorgen.

Die Hoffnung der CDU-Opposition, unter Kramers Führung werde das Amt trotz des Qualifikationsmangels „jede Form von Extremismus gleichermaßen im Fokus“ behalten, dürfte indes ein frommer Wunsch bleiben. Kramer selbst pocht mit verdächtigem Anklang an totalitären Sprachgebrauch darauf, er verfüge statt juristischer Expertise über „ein gesundes Rechtsempfinden“, und ohnehin brauche man im Amt „nicht mehr nur Juristen, sondern Religionswissenschaftler, Soziologen, Engagierte auch aus Initiativen gegen rechte Gewalt“. Schließlich sei „die Zivilgesellschaft“ – gemeint ist fraglos der in steuergeldgesponsteren Vereinen institutionalisierte „Kampf gegen Rechts“ – in seinen Augen „der beste Verfassungsschutz“. Kramer muß es wissen, nicht umsonst ist er als Mitglied des Stiftungsrats der Amadeu-Antonio-Stiftung selbst einschlägig engagiert.

Für die Umschmiedung des Thüringer Verfassungsschutzes in ein Kampfinstrument linker Gesellschaftsveränderung, die sowohl der Landesregierung als auch Stephan Kramer inzwischen offenkundig attraktiver erscheint als die schnöde Abschaffung, bot sich der bestens vernetzte „Gegen Rechts“-Kämpfer als Idealbesetzung an. Den Vorwand dazu bot die undurchsichtige Rolle des Amtes in der NSU-Affäre, die dazu geführt hatte, daß der Präsidentenstuhl des Thüringer Verfassungsschutzes fast drei Jahre lang verwaist war.

Die AfD könnte das erste Opfer werden

Erstes Opfer Kramers könnte die AfD werden, die er in der Vergangenheit wiederholt mit der NPD gleichsetzte; er werde sich „genau anschauen“, was deren Landeschef Björn Höcke so von sich gebe, drohte Kramer schon vor Amtsantritt. Daß die Partei für mögliche Wahlerfolge im Südwesten der Republik im nächsten Frühjahr mit der „Verfassungsschutz-Keule“ bestraft werden könnte, ist damit wieder wahrscheinlicher geworden.

Kaum verwunderlich also, daß die Erfurter AfD-Fraktion seine Ernennung scharf attackierte: Kramer sei „immer wieder als Scharfmacher aufgefallen, der sich durch eine erkennbare Intoleranz gegenüber abweichenden politischen Meinungen hervorgetan hat“, kritisierte deren Parlamentarischer Geschäftsführer Stefan Möller und verwies dabei auf Kramers Rolle in der Sarrazin-Debatte. 

Kramer, 1968 als Sohn eines Thüringer Vaters geboren und im Siegerland aufgewachsen, konvertierte als Erwachsener zum Judentum und gab seiner Karriere damit die entscheidende Wendung. Vom Assistenten des Europa-Direktors der Jewish Claims Conference stieg er 1998 zum persönlichen Referenten des damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, und später zum  Generalsekretär auf. In diesem Amt, das er von 2004 bis 2014 bekleidete, tat er sich mit schrillen Wortmeldungen hervor, bei denen er mehrfach zum Zurückrudern gezwungen wurde. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) diffamierte er als „Erfüllungsgehilfen des Papstes, der offensichtlich lieber Holocaust-Leugnern und Antisemiten die Hände schüttelt“; Thilo Sarrazin verglich er wegen seiner einwanderungskritischen Äußerungen mit „Göring, Goebbels und Hitler“. Profilierte jüdische Intellektuelle wie Henryk M. Broder und Michael Wolffsohn forderten wegen dieser Entgleisung seine Entlassung: „Will der Konvertit Kramer uns geborenen ‘Alt-Juden’ beweisen, daß er der bessere Jude ist?“ ärgerte sich Wolffsohn. Nach dem Erscheinen von Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ forderte Kramer, selbst SPD-Mitglied, den Bundesbanker auf, doch „in die NPD einzutreten“. 

Wegen „inhaltlicher Differenzen“ mit dem neuen Zentralratspräsidenten Dieter Graumann mußte Kramer im Januar 2014 seinen Posten aufgeben. Danach war es vorübergehend ruhiger geworden um den umtriebigen Verbandsfunktionär, der auch Positionen beim Jüdischen Weltkongreß, der Holocaust-Überlebenden-Stiftung Amcha und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft innehat. Anders als Graumann stellte sich Kramer zuletzt gegen ein NPD-Verbot, weil man Rechtsextremismus „nicht verbieten, sondern bekämpfen“ müsse. Rot-Rot-Grün bietet ihm dafür in Thüringen eine neue Agitationsbühne. Daß er sich plötzlich die einem hohen Beamten zukommende Zurückhaltung angewöhnt, ist kaum zu erwarten. Vielmehr wurde in Erfurt der Bock zum Gärtner gemacht.

Foto: Stephan Kramer bei seiner Vorstellung in Erfurt: Umschmiedung in ein Kampfinstrument