© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Knapp daneben
Barbarische Exzesse
Karl Heinzen

Flüchtlingen, die spätabends von ihren Deutschkursen oder Begrüßungsfeiern in ihre Unterkünfte zurückeilen, bieten sich oft beschämende Szenen. In Parks, auf Marktplätzen oder an Bushaltestellen stoßen sie auf enthemmte Jugendliche, die mit jeder erdenklichen Form von Alkohol ihren persönlichen Promillerekord zu brechen versuchen.

So etwas kennen sie aus ihrer Heimat nicht – ihr Prophet verbot schon vor 1.400 Jahren den Seinen in weiser Erkenntnis der menschlichen Schwäche den Genuß einschlägiger Getränke. Allenfalls die Scherbenhaufen, die der betrunkene Mob zurückläßt, erinnern sie an die von Häuserkämpfen verwüsteten Straßenzüge im Land ihrer Herkunft. Die Schutzsuchenden kamen, weil sie auf ein zivilisiertes Leben in Ordnung und Sicherheit hofften, und stattdessen treffen sie auf ungläubige Barbaren, mit denen sich zu verständigen nicht nur an Sprachproblemen scheitert.

Die Bürger notfalls mit den Mitteln einer Erziehungsdiktatur auf den Pfad der Tugend zurückführen.

Nicht überall in Deutschland nimmt die Politik jedoch Entgleisungen der Urbevölkerung tatenlos hin. Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg ist getragen von der Überzeugung, die Bürger notfalls mit den Mitteln einer Erziehungsdiktatur auf den Pfad der Tugend zu führen, und hat sich als Vorreiter im Kampf gegen alkoholische Exzesse einen Namen gemacht. Nun sollen die Zügel weiter angezogen werden. Schon heute dürfen Tankstellen im Ländle zwischen zehn Uhr abends und fünf Uhr früh keinen Alkohol verkaufen. Ein neues Gesetz, das SPD-Innenminister Reinhold Gall auf den Weg gebracht hat, soll die nächtliche Prohibition auf Automaten und Lieferdienste ausweiten.

Die Badener und Württemberger dürften dies als Appell an ihre Stärken auffassen. Sie sind dafür berühmt, akribisch zu planen, und werden sich nun eben vor 22 Uhr mit Alkoholvorräten eindecken. Jugendliche, die einen Spaß dabei empfinden, Autoritäten herauszufordern, werden sich fragen, warum sie weiterhin die Nacht zum Tage machen sollen. Es geht schließlich auch umgekehrt. Feiern und sich betrinken kann man, wenn man es halbwegs geschickt anstellt, ja auch in der Schule.