© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Fast schon meditativ
Wenn Erwachsene zum Malbuch greifen: Auf der Suche nach Entspannung und Kreativität
Claus-M. Wolfschlag

Malbücher sind Kindersache? Weit gefehlt. Mittlerweile haben Erwachsene die Beschäftigung aus Kindertagen für sich entdeckt.

Zu den bekannten Gestaltern dieser Buch-Sparte gehört die 1983 geborene schottische Designerin Johanna Basford. Ursprünglich auf den Entwurf von Tapetenmustern und Flaschenetiketten spezialisiert, brachte sie 2013 ihr erstes Malbuch für Erwachsene mit einer Auflage von 16.000 Stück auf den Markt. Mittlerweile konnte sie weltweit mehr als 15 Millionen Exemplare ihrer Bücher verkaufen.

Erwachsene verfügen über eine besser ausgeprägte Koordination zwischen Hand und Auge als Kinder. Im Unterschied zu Kindermalbüchern sind die Exemplare für Erwachsene somit komplexer, filigraner gestaltet. Statt schlichter Bagger, Tier- und Märchenmotiven finden sich in ihnen aufwendige phantastische Landschaften mit üppigem Pflanzenbewuchs und abstrakte geometrische Muster, die an orientalische Ornamente oder buddhistische Mandalas erinnern.

Mehrheitlich Leute über vierzig greifen zum Buntstift

Buchhändler Peter F. von der Hugendubel-Filiale in Frankfurt am Main hat den Trend erstmals vor einem halben Jahr bewußt wahrgenommen: „Mittlerweile verkaufen sich diese Ausmalbücher sehr gut. Die Käufer sind vor allem Leute über vierzig.“ Zwar äußerte Autorin Basford in ihrem Spiegel-Interview, das „erstaunlich viele Männer“ die Malbücher nutzen würden, wenngleich Männer dunklere Bilder bevorzugen würden. Peter F. zieht aber aus seiner buchhändlerischen Praxis das Resümee, daß „mehrheitlich Frauen“ die Malbücher erwerben.

Der Zweck der Malbücher liegt im Entspannungsmoment für den gestreßten modernen Großstadtmenschen. Johanna Basford beschrieb das so: „Malen ist eine tolle Möglichkeit, sich auszudrücken, ohne Streß und Selbstzweifel. Wir verbringen heute so viel Zeit damit, uns Sorgen zu machen. Da ist es auch für Erwachsene wichtig, hin und wieder abzuschalten.“ Auch hier wird die Verbindung zu Mandalas, den geometrischen Schaubildern in den buddhistischen und hinduistischen Kulturen, erkennbar. Mandalas dienen der Konzentration und Meditation. Sand-Mandalas werden nach Fertigstellung einfach wieder weggewischt, als Zeichen für die Vergänglichkeit allen irdischen Tuns. Bei den Malbüchern kommen die Zentangles diesem klassisch meditativen und künstlerischen Aspekt am nächsten. Hierbei werden anhand vorgefertigter Mustervorschläge relativ frei abstrakte Motive erarbeitet. Mittlerweile bieten Schulungszentren hierfür sogar spezifische Zentangle-Kurse an.

Ganz neu ist der Trend auch hierzulande nicht. Schon seit Jahrzehnten existiert beim Ravensburger Spieleverlag die Reihe „Malen nach Zahlen“. Diese Malvorlagen für Erwachsene zielen allerdings darauf ab, mittels Acrylfarben und genauen Vorgaben ein dekoratives Tafelbild für die eigenen vier Wände zu erschaffen. Auch sind bereits Malbücher zu Fernsehserien wie „Game of Thrones“ erschienen. Ähnlich wie das selbst zu gestaltende Produkt „Mach dieses Buch fertig“ von US-Autorin Keri Smith sind diese Phänomene Resultate einer Generation, die den Ausgleich zu Arbeit, E-Mail-, WhatsApp- und Facebook-Wahn in der schlichten Handarbeit sucht. Das kann sich im Imkern oder Nähkurs äußern wie auch im eher bizarren Bereich der Malbücher. Bereits im April fragte die 23jährige Welt-Redakteurin und Antifeministin Ronja von Rönne, welche Aussage über den kulturellen Stand unserer Gesellschaft gemacht werden könne, wenn nun Erwachsene Malbücher mit Buntstiften bearbeiten und ihre Ergebnisse dann noch stolz in sozialen Netzwerken der Öffentlichkeit präsentieren. Sehnsucht nach der heilen Welt? Neo-Biedermeier? Sehe der Kulturpessimist einen Niedergang der Schriftkultur, so bemängele der Soziologe den Rückzug ins Private. Buchhändler Peter F. sieht es gelassener: „Es ist ein Trendthema. Bei solchen Phänomenen weiß man nie, wie lange sie anhalten. Manchmal geschieht es von einem Tag zum anderen, daß die Produkte nicht mehr gekauft werden. Dann ist alles vorbei. Warum auch immer.“