© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Das Rührstück wird einfach weitergespielt
Auch bei den Feiern anläßlich des „Versöhnungs“-Briefwechsels polnischer und deutscher Bischöfe 1965 wurde Kritik ausgeblendet
Gernot Facius

Dafür gibt es Beispiele zuhauf: Das offizielle Gedenken an „historisch“ genannte Ereignisse geht oft mit einer Verklärung der Fakten einher, kritische Momente werden ausgeblendet oder in Halbsätzen versteckt. Der Festakt am 22. November, bei dem die deutsche und die polnische Bischofskonferenz in Tschenstochau ihren „Versöhnungs“-Briefwechsel vom Spätherbst 1965 würdigten, weist in diese Richtung. 

Die Gemeinsame Erklärung beider Episkopate umschifft so gut es geht die Irritationen von damals, die „Ungereimtheiten und Enttäuschungen, die es auch im Verhältnis der Kirche in Deutschland und in Polen gab“ (Kardinal Reinhard Marx), und ruft dazu auf, das „Geschenk der Versöhnung“ für den europäischen Einigungsprozeß zu nutzen. Bundespräsident Joachim Gauck und sein polnischer Amtskollege Andrzej Duda bezeichneten den Briefwechsel als Zeichen „ungewöhnlichen Mutes“ während des Kalten Krieges. 

Es ging um die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze

Am 18. November 1965, kurz vor Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, hatten die polnischen Bischöfe ihren deutschen Amtsbrüdern einen Brief geschrieben, er endete mit den Worten: „In diesem allerchristlichsten und zugleich sehr menschlichen Geist strecken wir unsere Hände zu Ihnen hin (…), gewähren Vergebung und bitten um Vergebung.“ Zwei Wochen später antworteten die Empfänger: „Furchtbares ist von Deutschen und im Namen des deutschen Volkes dem polnischen Volk angetan worden. So bitten auch wir zu vergessen, ja wir bitten zu verzeihen.“ 

Kommunikationsschwierigkeiten und Mißverständnisse begleiteten den Briefwechsel. Die Botschaft der Polen war einfach in das römische Postfach des deutschen Episkopats-Vorsitzenden, Kardinal Josef Frings, gelegt worden, obwohl dieser längst nach Köln zurückgereist war. Über diese Panne konnte man noch hinwegsehen. Problematischer war, daß die polnische Seite mit ihrem Brief konkrete Erwartungen verband: ein Ja des deutschen Episkopats zur Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Grenze. Doch dazu fanden sich die Bischöfe nicht legitimiert. Das polnische Schuldbekenntnis: War es frei von politischen Erwägungen oder haben seine Verfasser im Sinne der Warschauer Staatsdoktrin gehandelt? 

Bei den Feiern zum 50. Jahrestag spielten diese Fragen, die seinerzeit vor allem heimatvertriebene Katholiken bewegten, offenbar keine Rolle mehr. Im Vordergrund stand der Appell zur Zukunftsgestaltung „aus dem Geist erfahrener Versöhnung“. Für den Mainzer Kardinal Karl Lehmann war der Briefwechsel ein Akt christlicher Brüderlichkeit, ein Lichtstrahl zwanzig Jahre nach Kriegsende. Große Worte. Die deutsche Seite erinnerte wieder an den „gewaltigen Blutzoll“ (Marx), den der polnische Klerus während der deutschen Besatzung habe entrichten müssen, die Vertreibung der Deutschen kam, wenn überhaupt, nur verklausuliert vor. 

So wie vor einem halben Jahrhundert. Nach den zunächst beeindruckenden Initiativen während des Konzils stellte sich bald Ernüchterung ein. In einem Fastenhirtenbrief an ihre Gläubigen bestritten die polnischen Bischöfe Anfang 1966, daß es je eine Schuld auf ihrer Seite gegeben habe: „Hat das polnische Volk einen Grund dafür, seine Nachbarn um Verzeihung zu bitten? Sicherlich nein. “ Es war eine „unehrenhafte Kehrtwende“ (der aus Breslau stammende Historiker Johannes Sziborsky), „auch nicht verstehbar durch irgendeinen staatlichen Druck“. Dem Zentralkomitee der KP Polens erklärte seinerzeit der Krakauer Erzbischof Karol Wojtyla, der spätere Papst Johannes Paul II, man habe mit der Versöhnungsgeste die deutsche Seite zu einer Anerkennung deutscher Schuld, letztlich zu einer Anerkennung der Grenze an Oder und Neiße zwingen wollen – also fünf Jahre vor Brandts Warschauer Vertrag.  

Auch dieses Datum gehört zu dem von Kardinal Marx erwähnten „Auf und Ab“: Am 1. September 1965 hatte die polnische Bischofskonferenz zum 20. Jahrestag des Aufbaus „polnischen Kirchenlebens in den West- und Nordgebieten“ erklärt, diese Erde sei untrennbar mit dem polnischen Mutterland vereint. Primas Kardinal Stefan Wyszynski predigte im Breslauer Dom: „Wenn wir auf die Heiligtümer der Piasten schauen, uns hineinfühlen in ihre Sprache, dann wissen wir: bestimmt ist das kein deutsches Erbgut, das ist polnische Seele (...) Sie reden zum polnischen Volk ohne Kommentar.“ 

Chauvinistische Haltung polnischer Kirchenkreise

Der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl. Josef Jansen, machte daraufhin „die chauvinistische Haltung hoher polnischer Kirchenkreise“ zum alleinigen Thema einer Unterredung im vatikanischen Staatssekretariat. Kardinal Julius Döpfner sprach von der Gefahr, daß der polnische Episkopat kirchliche und nationale Gesichtspunkte zu stark identifiziere. Die so angesprochenen Amtsbrüder zeigten sich pikiert. 

Grund zur Enttäuschung hatte auch der für die Vertriebenen zuständige Bischof Heinrich Maria Janssen (Hildesheim): Er war „aus taktischen Gründen“ (der Bonner Kirchenhistoriker Karl-Joseph Hummel) erst am Vortag der Abstimmung in der Deutschen Bischofskonferenz über deren Antwortbrief unterrichtet worden. Janssen: „Es hat mich befremdet, daß ich in keiner Weise über die Gespräche informiert wurde, die mit polnischen Bischöfen geführt wurden.“