© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Auf dem Weg zur Seßhaftigkeit
Ausstellung: „Revolution Jungsteinzeit“ im Bonner LVR-Museum
Karlheinz Weißmann

Das Plakat der Ausstellung „Revolution Jungsteinzeit“, die das LVR-Museum Bonn zeigt, stellt ein Schädelfragment und das Bild einer jungen Frau der Gegenwart zusammen. Die Botschaft: Sie waren wie wir, das heißt, die Menschen, die vor etwa siebentausend Jahren Mitteleuropa besiedelten, unterschieden sich weder im Hinblick auf ihre Anatomie, noch im Hinblick auf ihre Intelligenz von denen der Gegenwart. Dasselbe gilt sogar in bezug auf bestimmte zentrale Lebensformen: die Bedeutung der Familie, das Wohnen in festen Häusern, die zu kleineren und größeren Gruppen zusammengestellt werden, die Bildung umfassender Sozialverbände, die massiven Eingriffe in die Umwelt. Eine gewisse Ähnlichkeit besteht auch im Hinblick auf die krisenhaften Umstände der geschichtlichen Situation: die Folgen der Digitalen Revolution heute, die der Neolithischen damals.

Unter dem Begriff „Neolithische Revolution“ versteht man den Übergang von einer Existenz als Fischer, Jäger und Sammler, wie sie die längste Phase der Menschheitsgeschichte bestimmte, hin zu Seßhaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht. Soweit erkennbar, hat sich dieser Übergang auf unserem Kontinent nicht aus eigenen Impulsen vollzogen, sondern in Folge der Einwanderung von Menschen aus Anatolien, dem ältesten Zentrum der Landwirtschaft, wie wir sie kennen. Sie brachten die entscheidenden neuen Kenntnisse und Praktiken mit, zu denen neben der Bestellung des Bodens und der Tierhaltung auch die Errichtung fester Siedlungsplätze, die Weiterentwicklung und Standardisierung von Steinwerkzeugen, die Anfertigung von Töpferware, dann das Auffinden und Verarbeiten von Metall – zuerst Kupfer, dann auch Gold – gehörten.

Ihre Begegnung mit den Autochthonen sollte man sich aber nicht als unproblematische „Bereicherung“ vorstellen. Die Bonner Ausstellung weist ausdrücklich darauf hin, daß die moderne Genetik den Schluß erlaubt, daß beide Gruppen über tausendfünfhundert Jahre unvermischt nebeneinander existierten und offenbar auch ihre jeweiligen Identitäten behielten. Das ist einer der Gründe dafür, warum man in dem Kontext auf den älteren Terminus „Neolithische Revolution“ zurückgreift und nicht nur den aktuelleren der „Neolithisierung“ verwendet.

Das Passieren dieser „Absoluten Kulturschwelle“ (Arnold Gehlen) war kaum ein schmerzfreier Vorgang. Vielmehr muß man mit dramatischen Abläufen rechnen, für die uns zwar keine Berichte zur Verfügung stehen, aber in Bonn werden auch die Funde gezeigt, die darauf hindeuten, daß spätestens in der Jungsteinzeit organisierte Gewaltakte – Frühformen des Krieges – zum Leben der Menschen gehörten. Eine Idylle war diese Vergangenheit jedenfalls nicht, was auch damit zusammenhängt, daß Seßhaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht neben einer wachsenden Population eine stärkere Ungleichheit innerhalb der Gemeinschaften und rigidere Organisationsformen mit sich gebracht haben dürften.

Gleich am Anfang der Ausstellung in Bonn werden zwei eindrucksvolle Tonfiguren gezeigt, die bei Szegvár-Tuzköves in Ungarn gefunden wurden und die auch als Symbole dieser Veränderungen gelten können. Die eine der beiden wird als „Sichelgott“ bezeichnet. Dargestellt ist in abstrakter Form die Gestalt eines Mannes; er sitzt sehr aufrecht, der Gesichtsausdruck wirkt streng, möglicherweise bedeckt den Kopf eine Maske, und in fast drohender Haltung trägt er eine Sichel über seine linke Schulter gelegt. Die Aura wirkt autoritär, fast bedrohlich, und ganz gleich, ob es sich hier um einen Gott oder einen Heros oder einen Machthaber handelt, kann aus der Art der Darstellung gefolgert werden, daß sich für die Menschen mit der Neolithischen Revolution zwar größere Sicherheit und Existenzerleichterung verbanden, sie aber gleichzeitig auch unter ein Gesetz traten, das strenger war als das, das ihr Leben bisher bestimmte.

Leider gelingt es der Bonner Ausstellung nur ansatzweise, diese und andere für den Ablauf zentralen Zusammenhänge deutlich zu machen. Selbstverständlich ist der Stoff spröde, der hier behandelt wird, und das Gebiet Nord-rhein-Westfalens gehörte nicht eben zu den Zentren des Geschehens, weshalb es keine sensationellen Objekte zu präsentieren gibt. Trotzdem hätte man zumindest bei der Darstellung des Hintergrundes mehr Ehrgeiz erwartet und nicht die Beschränkung auf Stücke, deren regionale Bindung zwar unverkennbar, aber eben auch von begrenzter Aussagekraft ist. Wenn man die Bonner Präsentation mit der ähnlich gelagerten des Archäologischen Landesmuseums Karlsruhe von 2011 zum Thema „Jungsteinzeit im Umbruch – Die Michelsberger Kultur und Mitteleuropa“ vergleicht, fällt sie jedenfalls deutlich ab.

Von der Kritik sei übrigens der Begleitband ausdrücklich ausgenommen, der zwar nicht alle gezeigten Stücke präsentiert und erläutert, aber mit den abgedruckten Aufsätzen einen umfassenden Überblick zum aktuellen Forschungsstand liefert.

Die Ausstellung „Revolution Jungsteinzeit“ wird bis zum 3. April 2016 im Bonner LVR-Museum, Colmantstr. 14-16, täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr, Sa. ab 13 Uhr, gezeigt. Telefon: 02 28/ 20 70-0

 www.revolution-jungsteinzeit.de