© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Wirtschaftswunder aus dem Schwarzwald
Fischertechnik: Seit 50 Jahren unentwegt erfolgreich
Christian Schreiber

Im Nordschwarzwald geht es beschaulich zu. 5.700 Menschen leben in Waldachtal, einer Gemeinde eine Autostunde südlich von Stuttgart. Neben zahlreichen Urlaubern kommen Senioren hierhin, um eine Kur zu machen. Der Gemeinderat, in dem nur CDU und Freie Wähler vertreten sind, muß sich dank zwei Dutzend Firmen aus den Branchen Kunststoff sowie Maschinen- und Metallbau kaum finanzielle Sorgen machen. In diesem Umfeld gedeiht seit 1948 ein kleines Wirtschaftswunder.

„Wir können mit Stolz sagen, daß wir vielen Stürmen getrotzt haben und uns eine gute Marktposition erarbeitet haben“, sagt Klaus Fischer, Vorsitzender der Geschäftsführung der gleichnamigen Unternehmensgruppe voller Stolz. Und in diesen Tagen feiert eine von vielen erfolgreichen Ideen, die sein mittlerweile 95 Jahre alter Vater Artur hatte, ihren 50. Geburtstag. Der Senior gilt als einer der bedeutendsten Erfinder weltweit; der Familienunternehmer meldete bis Ende 2013 insgesamt 1.136 Patente an.

Ein deutscher Thomas Alva Edison

Auf das Konto des genialen Tüftlers gehen beispielsweise der 1958 auf den Markt gebrachte „Fischerdübel“ – der weltweit erste Kunststoff-Spreizdübel – oder ein Blitzlichtgerät für Fotoapparate mit synchroner Auslösung. Befestigungstechnik war und ist der Umsatzbringer – das bekannteste Produkt ist aber das „Fischertechnik“-Baukastensystem für Kinder und Jugendliche, das im Dezember 1965 auf den Markt kam. Der IT-Unternehmer Dirk Fox und der Bochumer Mathematikprofessor Thomas Püttmann nennen Artur Fischer in ihrem Jubiläumsbuch ohne zu übertreiben einen zweiten Thomas Alva Edison.

Aus der kleinen Schwarzwald-Firma ist mittlerweile ein weltweit operierendes Unternehmen geworden. Mehr als 660 Millionen Euro betrug der Umsatz zuletzt, die Unternehmensgruppe Fischer besitzt Filialen in mehr als 30 Ländern und exportiert in die halbe Welt. Aus dem Ein-Mann-Betrieb entwickelte sich ein Konzern mit 4.150 Angestellten.

Das Baukastensystem „Fischertechnik“ ist aus vielen Kinderzimmern nicht mehr wegzudenken. Selbst die Steuerung der Modelle mit dem Computer ist seit über 30 Jahren möglich. Das Fischertechnik-Sortiment umfaßt mehr als 40 Baukästen und Ergänzungssets. Dabei sollte die Erfindung ursprünglich nur ein Weihnachtsgeschenk für die Kunden und Geschäftspartner werden. Die offizielle Premiere erlebte Fischertechnik zu Weihnachten 1965 im ZDF: Die ersten 1.000 Baukästen wurden der „Aktion Sorgenkind“ gespendet.

Rückblickend bezeichnet Fischer senior diese Erfindung „als Zufall und Glücksfall“, denn die Gewinne werden mit Dübeln erwirtschaftet: „Aber, schon klar, die Baukästen kennt halt jeder.“ Das hängt auch damit zusammen, daß der Erfinder jede Menge Auszeichnungen für sein Produkt erhalten hat. „Bestes Spielzeug 1966“, 1970 der „Oscar du Jouet“ in Frankreich sowie die Wahl zum „Spiel des Jahres 1976“ in Holland sind nur einige Beispiele. 2010 wurde „Fischertechnik“ zum dritten Mal in Folge für das „Goldene Schaukelpferd“ nominiert – den wichtigstem Verbraucherpreis in Deutschland.

„Das Spielen mit Fischertechnik vermittelt technisches Grundverständnis und fördert die Auge-Hand-Koordination, die Grob- und Feinmotorik, das räumliche Vorstellungsvermögen, Phantasie und Kreativität und das logische Denkvermögen“, heißt es in einer Selbstbeschreibung des Unternehmens. Dabei wurde das Angebot in den vergangenen Jahrzehnten stets weiterentwickelt. Auch an Schulen, Universitäten und in Entwicklungsbüros wird mittlerweile mit „Fischertechnik“ entwickelt und simuliert. „Es ist schon so, daß wir kein reines Produkt für das Kinderzimmer mehr sind“, sagt Firmenchef Klaus Fischer. Die Vielfalt der Baukästen umfaßt heute die ganze Bandbreite technischer Entwicklungen wie Solartechnik, Pneumatik, Computersteuerung, Bionik oder Statik. Jahr für Jahr werden neue Erfindungen patentiert. „Es muß weitergehen“, lautet schließlich das Credo von Firmengründer Artur Fischer.

Wohl nicht mehr weiter geht es dagegen für ein anderes deutsches Traditionsunternehmen: der übriggebliebene Rest der einstigen Nixdorf AG steht endgültig vor dem Aus. Der angeschlagene Geld- und Kassenautomaten-Produzent Wincor Nixdorf soll durch den US-Konkurrenten Diebold übernommen werden. Bis zu 1,7 Milliarden Euro will der Konzern aus North Canton/Ohio für den Paderborner Rivalen bezahlen. 

Der neue Konzern soll Diebold Nixdorf heißen und seinen rechtlichen Sitz ausschließlich in den USA haben. Ein Stellenabbau in Deutschland sei zwar nicht vorgesehen, aber Experten gehen davon aus, daß der Name Nixdorf nach einer gewissen Schamfrist verschwinden wird. Das wäre ein trauriges Ende eines Unternehmens, dessen Gründer Heinz Nixdorf einst als Pionier der deutschen Nachkriegswirtschaft gefeiert wurde. 

Kommt das endgültige Aus für Nixdorf?

Heute ist Wincor Nixdorf weltweit die Nummer drei auf dem Bankautomatenmarkt. Angefangen hatte alles 1952 dem Heinz Nixdorf Labor für Impulstechnik, das im Nachkriegsdeutschland die ersten elektronischen Rechner entwickelte und baute. Anfangs auf Röhrentechnik basierend, wurde 1965 auf der Hannover Messe der erste auf Halbleitern basierende Kleincomputer präsentiert. Seit den siebziger Jahren war die Nixdorf Computer AG deutscher Marktführer, in den achtziger Jahren der viertgrößte Computerhersteller Europas.

Doch schon vier Jahre nach dem Tod des Gründers im Jahr 1986 verlor die Firma ihre Eigenständigkeit, Siemens übernahm den angeschlagenen Mitbewerber, es entstand die Siemens Nixdorf Informationssysteme AG. 1998 verkaufte Siemens die Sparte für 1,4 Milliarden Mark an US-Finanzinvestoren. Diese brachten das Unternehmen als Wincor Nixdorf 2004 an die Börse. Doch mit der Weltfinanzkrise ging es bergab. Aber vielleicht kommt Nixdorf durch die Übernahme wieder indirekt in deutsche Hand: Die Firma Diebold wurde ursprünglich 1859 von Charles Diebold gegründet – einem Deutschen, der 1847 in die USA ausgewandert war.

Dirk Fox, Thomas Püttmann: Bauen, erleben, begreifen – Technikgeschichte mit Fischertechnik. Dpunkt Verlag, Heidelberg 2015, 364 Seiten, broschiert, 26,90 Euro

Fischertechnik GmbH in Waldachtal:  www.fischertechnik.de