© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Noch sprudelt das Geld
Islamischer Staat: Trotz zunehmender Luftschläge erscheint die Finanzierung des Kalifats gesichert
Gabriel Burho

Seit den Anschlägen von Paris wird wieder vermehrt darüber diskutiert, wie das Gebilde, das abwechselnd IS, Isis, Daesh oder Kalifat genannt wird, zu zerschlagen sei. So uneinig wie bei der Benennung, so unterschiedlich sind auch die jeweils vorgeschlagenen Strategien – und häufig genug wird nicht unter dem Blickwinkel der schnellen Vernichtung dieser Bedrohung diskutiert, sondern vor dem Hintergrund eines vorgeschobenen Aktionismus, mit dem westliche Regierungen ihre Ratlosigkeit verdecken. Weder die USA noch die anderen Nato-Partner oder Rußland sind bereit, sich mit eigenen Bodentruppen zu engagieren, anders kann ein Sieg über Isis aber nicht errungen werden. Alle anderen Maßnahmen können lediglich als Stückwerk betrachtet werden.

Einnahmen von bis zu drei Millionen Dollar pro Tag

Erschwerend kommt hinzu, daß die Anti-Isis-Koalition aus Partnern mit sehr unterschiedlichen Interessen besteht. Einig ist sie sich indes darin, daß Kalif Ibrahim – dem man gerne in den Medien das Adjektiv „selbsternannt“ hinzufügt, ohne zu realisieren, daß islamische Kalifen immer von einer Gruppe aus Getreuen gewählt wurden oder ihr Amt einfach erbten – über die reichste Terrororganisation der Welt gebietet. Besser: Abu Bakr al-Baghdadi herrscht über einen Protostaat, der sich im Kampf gegen seine Feinde – nahezu jeden, der nicht dazugehört – auch terroristischer Taktiken bedient.

Experten des US-Finanzministeriums schätzen die täglichen Einnahmen des IS auf zwei bis drei Millionen US-Dollar. Diese speisen sich aus einer Reihe von Quellen. Die lukrativsten gewann „der Staat“, wie er sich selbst nennt, um zu betonen, daß es sich um den einzigen legitimen Staat für Muslime handelt, mit den immensen Landgewinnen in Syrien und im Irak. Neben Ölquellen fielen ihm so auch Bürger zu, die er besteuern, und Antiquitäten, die er auf dem Schwarzmarkt verkaufen konnte.

Darüber hinaus erhält der IS auch weiterhin Spenden von Unterstützern aus dem Ausland, hier vor allem von Privatpersonen auf der Arabischen Halbinsel. Über deren Verbindung zu den offiziellen Regierungen der Staaten Saudi Arabien, Katar und Kuwait dürfen durchaus Mutmaßungen angestellt werden. Gerade Saudi-Arabien hat, gleichwohl Teil der Anti-Isis-Koalition, ein dezidiertes Interesse, den Sunnismus im Irak zu unterstützen, dessen einzige schlagkräftige Vertreter aktuell der IS darstellt. 

Im Stellvertreterkrieg zwischen Riad und Teheran, der auf der gesamten Bruchkante der Länder mit sunnitischen und schiitischen Bevölkerungsanteilen stattfindet, könnten die Radikalen für die Saudis als das kleinere Übel angesehen werden. Hier kommt es der saudischen Regierung zugute, daß sie einerseits  ihren wichtigsten außenpolitischen Verbündeten, die USA, bedienen kann und die Mitglieder des Königshauses – derer gibt es mehrere tausend – gleichzeitig als Privatpersonen agieren und über Spenden die radikaleren Elemente unter den wahhabitischen Theologen befrieden oder alimentieren können. 

Das Rechtssystem im Kalifat unterscheidet sich nur marginal von dem des UN-Mitglieds Saudi-Arabien, dessen UN-Botschafter auch den Vorsitz einer Expertengruppe im UN-Menschenrechtsrat innehat. Lediglich der Machtanspruch des Kalifen dürfte der saudischen Monarchie übel aufstoßen.

Der Versuch dem IS, „den Geldhahn zuzudrehen“, wird derzeit energisch und durchaus mit Erfolg vorangetrieben. In den vergangenen Wochen wurden die Angriffe der US-Koalition und auch Rußlands auf Raffinerien und Tanklasterkonvois intensiviert. Auch die Kontrolle des Grenzschmuggels mit Öl wurde verschärft, auch wenn alle Anrainer inklusive des Nato-Partners Türkei gut daran verdienen. 

Vergessen werden darf dabei allerdings nicht, daß der größte Abnehmer des IS-Öls der IS selbst ist. Wie bereits angemerkt, handelt es sich beim Islamischen Staat eben nicht nur – wie medial gerne kolportiert – um eine Terrormiliz, sondern um ein pseudo-staatliches Gebilde mit einer eigenen Binnenwirtschaft.

Kämpfer setzen nicht nur auf materielle Werte 

Die führt auch zu einer weiteren Geldquelle, die im Gegensatz zu den „Einnahmen“ durch Grabräuberei, Antiquitätenschmuggel und Bankraub nicht endlich ist: Steuern. Gemäß seinem salafistischen Staatsverständnis erhebt das Kalifat von den Bürgern in seinem Herrschaftsbereich verschiedene Steuern. 

Zum einen die Zakat, die religiös vorgeschriebene Almosenabgabe von cirka zehn Prozent des jeweiligen Jahreseinkommens aller Muslime. Nicht-Muslime müssen die Kopfsteuer gemäß Koran Sure 9 Vers 29 entrichten. Gerade hier kennt die islamische Tradition verschiedene Konzepte: Im frühen Islam wurde zwischen denjenigen unterschieden, die sich ohne Kampf unterwarfen, deren Steuerlast war geringer, und denjenigen, die militärisch unterworfen wurden, hier oblag es den Muslimen, die Höhe der Steuer festzulegen. Als letztes wird eine Steuer auf landwirtschaftliche Erzeugnisse – auch in Naturalien erhoben.

Seine Einnahmen nutzt der IS, um sich seinen Anhängern gegenüber als Wohlfahrtsstaat zu gerieren. Familien erhalten großzügige Zuschüsse, Kämpfer werden gemäß der frühislamischen Tradition an der Beute beteiligt, Kindergärten und Schulen sind kostenfrei. Junge Männer erhalten das für die Eheschließung notwendige Geld und bekommen von Christen oder anderen religiösen Minderheiten konfiszierte Häuser zugewiesen.

Hierauf gründen die Hoffnungen der internationalen Gemeinschaft, den IS durch eine Verminderung seiner finanziellen Potenz zu schwächen, indem durch weniger „Sozialleistungen“ Unzufriedenheit geschürt wird. Ebenso hoffen die IS-Gegner, die finanzielle Grundlage für Waffenlieferungen und militärischen Nachschub zu zerstören.

In finanzieller Hinsicht zeigen die Maßnahmen Erfolge. Al-Baghdadis Budget geht kontinuierlich zurück. Militärisch geschwächt hat dies den IS allerdings bisher wenig, und auch seine Anhänger dürfte es wenig abschrecken. Solange der IS über Land und Bürger verfügt, ist er zumindest teilweise autonom und nicht auf externe Geldquellen angewiesen – auch wenn die Spenden sicher nicht ausbleiben werden.

Doch die „Zufriedenheit“ seiner Anhänger mißt sich nicht nur in materiellen Werten, sondern hat eine ideologische Basis. Für die Teilnahme am Projekt „Globales Kalifat“ dürften viele muslimische Radikale bereit sein, auf einige Annehmlichkeiten zu verzichten. Darüber hinaus kann der IS, genau wie der frühe Islam in den ersten zweihundert Jahren nach dem Tode Mohammeds, eine Reihe immaterieller „Benefits“ in Form von Kriegsbeute, dazu gehören auch Frauen, Anerkennung und dem Ausleben persönlicher Rachephantasien, bieten.

Foto: IS-Machtdemonstration in Mossul (Juni 2014) und Luftbild russischer Piloten eines IS-Tankwagendepots (r.): Die Ölgeschäfte des IS liefen lange problemlos, nun nimmt Rußland sie in Visier