© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Späte Geste für deutsche Zwangsarbeiter
Geschichtspolitik: Die vom Bundestag bewilligten 50 Millionen Euro Entschädigung sind auch ein ganz persönlicher Erfolg für Ex-BDV-Präsidentin Erika Steinbach
Gernot Facius

Erika Steinbach sollte man den kleinen Erfolg ruhig gönnen, auch wenn er spät, sehr spät kommt. Mehr als zehn Jahre hat die CDU-Politikerin aus Frankfurt am Main dafür gekämpft, daß die deutschen zivilen Zwangsarbeiter wenigstens symbolisch entschädigt werden. 

In der Mitte der 18. Legislaturperiode des Bundestages – der letzten für Steinbach, die nicht mehr kandidieren wird – hat der Haushaltsausschuß nun 50 Millionen Euro bereitgestellt. Das Geld soll in den nächsten drei Jahren ausgezahlt werden: 20 Millionen 2016, 15 Millionen 2017 und ebenfalls 15 Millionen 2018. „Was lange währt, wird endlich gut“, kommentierte die ehemalige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) und Sprecherin für Menschenrechte der CDU/CSU-Fraktion die Entscheidung. Eingelöst wird damit ein Versprechen von Angela Merkel und der Unionsfraktion aus der Oppositionszeit in der 15. Wahlperiode. Die Debatte war jahrelang von verstörenden Widersprüchlichkeiten, auch in den eigenen Reihen, begleitet. 

Noch 2011 hatte der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) einschlägige Forderungen mit der Begründung abgelehnt, Zwangsarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg sei ein allgemeines Kriegsfolgenschicksal, das innerstaatlich nicht entschädigt werden könne. Ein Einwand, dem die Vertriebenenverbände vehement widersprachen. 2012 ging dann der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer in die Offensive. Auf dem Sudetendeutschen Tag in Nürnberg sagte Seehofer: „Wir zahlen in Europa für alle, dann können wir auch für deutsche Zwangsarbeiter zahlen.“ Er versprach, das Thema „mit bayerischem Nachdruck“ in die Spitzentreffen der Parteivorsitzenden in Berlin einzubringen. 

Steinbach zeigte sich daraufhin zuversichtlich, daß es zu einer Lösung kommen werde: „Ich bin entschlossen, in dieser Frage nicht nachzugeben. Das ist eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit.“ Es vergingen allerdings noch drei Jahre, bis es am 13. November 2015 zur Einigung im Haushaltsausschuß über eine „humanitäre Geste“ für Zivilpersonen kam, die „aufgrund ihrer deutschen Staats- und Volkszugehörigkeit durch fremde Staatsgewalt während des Zweiten Weltkrieges und danach zur Zwangsarbeit herangezogen wurden“. 

Einzelheiten muß das Bundesinnenministerium noch in einer Richtlinie regeln. Vor allem muß herausgefunden werden, wie groß der Kreis der Anspruchsberechtigten ist. 2012 schätzte Steinbach, daß noch rund 40.000 Deutsche leben, die nach Kriegsende in Straflagern in Polen, Rußland, der Tschechoslowakei und Rumänien zu Zwangsarbeit verpflichtet waren. Die CDU-Politikern bezifferte damals die notwendige Entschädigungssumme auf rund 200 Millionen Euro. Gedacht sei an einen Einmalbetrag von 5.000 Euro für jeden Betroffenen. 

Im Juni 2015, als eine Einigung noch nicht abzusehen war, setzte sich die BdV-Bundesversammlung auf Antrag der Sudetendeutschen Landsmannschaft in einer Entschließung an Bundestag und Bundesregierung dafür ein, „endlich“ zu handeln. An einem Entschädigungsfonds könnten sich auch die Staaten beteiligen, die Zwangsarbeit angeordnet und Unternehmen, die aus der Zwangsarbeit Nutzen gezogen haben. „Heute“, erklärte das BdV-Beschlußorgan, „sind nur noch zwischen 10.000 und 20.000 der zur Zwangsarbeit herangezogenen über 80jährigen unter uns und können von den unmenschlichen und brutalen Haft-, Lager- und Lebensbedingungen und ihren bis heute nicht überwundenen Traumata berichten.“ Die Betroffenen bedürften endlich „deutlicher Gesten der Anerkennung und Würdigung durch Deutschland, für das sie stellvertretend in Haftung genommen wurden, die in der Höhe nicht hinter vergleichbaren Entschädigungsregelungen zurückfallen dürfen“.  Denn im Hinblick auf die Unteilbarkeit der Menschenrechte und das Gerechtigkeitsgebot könne der Verstoß gegen grundlegende Menschenrechte nicht unterschiedlich bewertet werden. „Die Bundesregierung muß sich endlich der Verantwortung auch für dieses Leid stellen.“ Sehr spät kommt nun die „humanitäre Geste“, hoffentlich für viele aus der Eltern- und Großelterngeneration nicht zu spät.