© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/15 / 27. November 2015

Knapp daneben
Vorbild für die Jugend
Karl Heinzen

Mellrichstadt stand zuletzt in karolingischer Zeit im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Damals war hier am Fuße der Rhön ein Königshof zu finden. Der Rang einer politischen Metropole konnte über die Jahrhunderte nicht behauptet werden. Heute scheint der 5.000-Seelen-Ort aber immerhin fest entschlossen, wenigstens Popgeschichte zu schreiben. An der örtlichen Mittelschule wurde soeben damit begonnen, eine Wand mit einem mehrere Meter hohen Selbstporträt von Udo Lindenberg zu verzieren. Am 17. März des kommenden Jahres soll der Künstler zum Namenspatron der Bildungseinrichtung werden. Die Schulleitung, die Eltern und Schüler, der Bürgermeister und sogar der Künstler selbst, der aus falsch verstandener Bescheidenheit das Ansinnen zunächst ablehnen wollte, haben ihre Zustimmung schon erteilt. Es darf als wahrscheinlich gelten, daß auch die unterfränkische Regierung das Vorhaben abnickt.

Dem Rektor imponiert vor allem, daß Lindenberg stets für Toleranz, Frieden und Buntheit eingetreten ist.

Die Kosten von 12.000 Euro für die Umbenennung wiegen allerdings schwer. Nach aktuellem Umrechnungskurs humanitärer Hilfsorganisationen ließe sich damit für 100 Kinder in Afrika Ernährung und Ausbildung für ein Jahr finanzieren. Rektor Egon Bauß will mit der Namensgebung aber nicht allein das Werk Lindenbergs würdigen. Vor allem imponiert ihm, daß der Künstler stets für Toleranz, Respekt, Frieden und eine bunte Gesellschaft und lauter andere Werte eingetreten ist, an denen sich die Jugend gefälligst orientieren soll. Die Gefahr, daß sich Schüler Bildungschancen verbauen, weil sie auch seine Ausdrucksweise zum Vorbild nehmen, besteht hingegen nicht. Lindenberg wird im nächsten Jahr 70, und wenn man sich in Seniorenheimen umhört, kann man erleichtert feststellen, daß er nicht einmal den Jargon seiner Altersgefährten prägte. Wahrscheinlich werden die Schüler aber registrieren, daß gegen ihn Anklage wegen unerlaubten Waffenbesitzes erhoben wurde. Dies könnte sie dazu motivieren, es ihm gleichzutun, um die Notengebung zu beeinflussen. Auch davor braucht sich Egon Bauß aber nicht zu fürchten. Nicht zuletzt hat Lindenberg uns ja gelehrt, Panik mit Humor zu nehmen.