© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/15 / 27. November 2015

Bedingt handlungsfähig
Asylkrise II: Trotz steigender Flüchtlingszahlen und verschärfter Sicherheitslage herrscht in der Großen Koalition zunehmend Streit
Paul Rosen

Vor einem halben Jahr kam ein Hilferuf aus dem Irak: Der Bischof der Stadt Mossul, Yohanna Petros Mouche, bat den Westen und die Weltmächte, den „Islamischen Staat“ aus der Region zu vertreiben. „Heute sind sie bei uns. Morgen werden sie bei euch sein.“ Der Ruf liest sich wie eine Prophezeiung. Die Anschläge in Frankreich, der Terroralarm in Brüssel und die Absage des Fußballspiels in Hannover haben gezeigt: Sie sind da. Der Terror hat das Morgenland erfaßt und das Abendland erreicht. 

Deutsche Politiker antworten bisher mit Parteiengezänk und Debatten auf die neue, aber nicht überraschende Lage. Nicht einmal auf ein zweites Asylpaket mit Maßnahmen zur Begrenzung der Immigration konnte sich die Große Koalition bisher verständigen. Es ging darum, den Zuzug von sogenannten unbegleiteten Minderjährigen zu begren-zen. Außerdem sollten Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber erleichtert werden. „Das Asylpaket ist geplatzt“, erklärte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer. In Berlin wächst in der SPD-Fraktion der Wunsch, mit Grünen und Linken zusammen „fortschrittliche“ Politik zu gestalten. 

Einsatz der Bundeswehr bleibt umstritten

Ob bei der Haftung der Energiekonzerne für den Abbau der Atomkraftwerke und Atommüllagerung oder der Neuregelung der Kapitalertragsteuer: Überall sind tiefe Risse in der von der SPD ungeliebten Koalition erkennbar. 

Vorsorge vor Bedrohungen ist daher kaum möglich, weil alle erforderlichen Maßnahmen sofort im Streit der Parteien verschüttet werden. So selbstverständlich in Frankreich und Belgien Soldaten die Polizei bei der Sicherung von Straßen und Plätzen unterstützen, so ausgeschlossen ist dies in Deutschland, auch wenn sich die Stimmen dafür mehren: „In Frankreich sehen wir, daß das Militär im Bedarfsfall schnell eingesetzt wird, um den öffentlichen Raum abzusichern. Im Zweifel muß das auch in Deutschland möglich sein“, sagt der Unions-Verteidigungsexperte Henning Otte. Längst ist allen Sicherheitsexperten klar, daß nur die Bundeswehr in der Lage wäre, ein von Terroristen gekapertes Flugzeug, das auf eine Großstadt gelenkt würde, abzuschießen und nicht etwa ein Polizeihubschrauber. Das Verfassungsgerichtsurteil gegen das damalige Luftsicherheitsgesetz, wonach der Abschuß einer von Terroristen entführten Maschine mit Passagieren ein Verstoß gegen die Garantie der Menschenwürde des Grundgesetzes sei, wirkt spätestens seit den Anschlägen von Paris wie aus einer vergangenen Zeit. 

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der seinerzeit als Innenminister den Einsatz der Bundeswehr im Innern regeln wollte, regte dies wieder an. Prompt fiel ihm die SPD in den Arm: „Es ist heute so falsch wie damals“, sagte Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, zu Schäubles Anregung: „Wir sollten uns von Terroristen keine Verfassungsänderung aufdrängen lassen.“ 

Deutsche Politiker ignorieren den Wandel der internationalen Großwetterlage, der seit den Anschlägen von Paris eingesetzt hat. Nachdem Rußlands Präsident Wladimir Putin schon vor den Anschlägen in Syrien mit Luftangriffen begonnen hatte, formiert sich eine internationale Koalition gegen den „Islamischen Staat“, auf deren Bemühungen deutsche Politiker mit ihren Standardformeln zu reagieren beginnen: Es gibt kein Mandat der Vereinten Nationen, wenn Deutschland hilft, dann mit Ausbildungs- und Sanitätskompanien. So sollen in Mali,wo die Bundeswehr Soldaten ausbildet, die deutschen Truppen verstärkt werden.  

Beliebt sind auch Lufttransport-Angebote, obwohl sich die Luftwaffe mit ihren fliegenden Transall-Schrotthaufen das eine oder andere Mal bereits wegen Unzuverlässigkeit blamiert hat. Dennoch bietet der Inspekteur der Luftwaffe, Karl Müllner, im Fall einer Anfrage Lufttransport an. Bodenziele kann die Luftwaffe höchstens mit ihren alten Tornados bekämpfen, der Eurofighter ist nicht einsatzfähig. 

Die gesamte deutsche Sicherheitspolitik, so wird in der Krise deutlich, befindet sich in einer Schieflage.