© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/15 / 27. November 2015

Ein Aufklärer
Laudatio auf Martin Voigt: Michael Paulwitz ließ den Journalisten hochleben
Michael Paulwitz

Mädchenfreundschaften unter dem Einfluß von Social Media“ – in Martin Voigts Doktorarbeit steckt mehr Brisanz, als der Titel auf den ersten Blick vermuten läßt. Was treibt schon zwölfjährige Mädchen an, ihre Beziehung zur besten Freundin, die für frühere Jahrgänge einfach nur die beste Freundin war, ins Grenzenlose zu überhöhen wie eine ewige romantische Liebesgeschichte? Ist es nur der gesteigerte Selbstdarstellungsdruck auf dem permanenten virtuellen Pausenhof der sozialen Netzwerke, oder steckt mehr dahinter?

In den Kinderzimmern seiner Nachhilfeschülerinnen kam Martin Voigt diesem neuen Trend auf die Spur, der die ersehnte Individualität und Einzigartigkeit mit so gleichförmigen Versatzstücken zelebriert. Der junge Wissenschaftler wollte nicht nur relativistisch ein gerade angesagt erscheinendes Phänomen beschreiben; er wollte tiefer bohren, einordnen, Zusammenhänge verstehen, das Ganze in den Blick nehmen und das Erkannte auf solide philosophische Füße stellen. Dafür suchte er, wie es der Ausgangspunkt allen seriösen Forschens sein sollte, die Quellen auf – die neuen Medien, über die viele Kollegen immer nur redeten – und befragte auch andere Disziplinen: die Bindungsforschung, die Entwicklungspsychologie.

Und fand heraus: Da wird kompensiert, was man den Kindern anderswo genommen hat. Die verläßliche, sichere Bindung in der Geborgenheit der Familie, die von einer vermeintlich „modernen“ Familienpolitik ausgehöhlt und unterspült wird. Da spielt die Entfremdung von den Eltern als Bezugsperson und haltgebende Autorität eine Rolle, die von der sich ausbreitenden Ganztagsbeschulung vorangetrieben wird und bewirkt, daß der größte Einfluß auf Kinder und Heranwachsende von Gleichaltrigen ausgeht. Freiheit zur Individualität setzt intakte Familien und Elternhäuser voraus; die Ganztagsschule, konstatiert Martin Voigt, erzwingt Anpassung. Und da entfaltet die Frühsexualisierung ihre verhängnisvolle Wirkung: den Abbruch der Kindheit, die Entfernung von den Eltern, das Abschneiden der Überlieferung von Normen und Werten, die Sexualität mit fester Bindung verknüpfen und nicht mit hedonistischer, kurzfristiger Triebbefriedigung.

In seinem soeben abgeschlossenen neuesten Buchprojekt, „Mädchen im Netz – süß, sexy und immer online“ hat Martin Voigt diese Zusammenhänge anschaulich aufbereitet, griffig formuliert und wissenschaftlich fundiert belegt zugleich. Und er benennt die ideologischen Absichten hinter einer Entwicklung, die eben nicht nur zufällig abläuft, sondern gezielt befördert wird. Den Erziehungswissenschaftler Hans-Jochen Gamm zum Beispiel, dem schon 1977 die Aussage zugeschrieben wird: „Wir brauchen die sexuelle Stimulierung der Schüler, um die sozialistische Umstrukturierung der Gesellschaft durchzuführen und den Autoritätsgehorsam einschließlich der Kinderliebe zu den Eltern zu beseitigen.“ Er bezog sich auf Freud: „Kinder, die sexuell stimuliert werden, sind nicht mehr erziehungsfähig. Die Zerstörung der Scham bewirkt die Enthemmung auf allen anderen Gebieten, eine Brutalität und Mißachtung der Persönlichkeit der Mitmenschen.“

In der Fachwelt hatte sich Martin Voigt bereits einen Namen gemacht. Aufsätze und Fachbeiträge zeugen davon, in den Leitmedien von Spiegel bis Süddeutsche wird er zum gefragten Interviewpartner und Gewährsmann, die Bundespolizei berät und unterstützt er über mehrere Jahre hinweg bei einem Präventionsprojekt, das auf seinen eigenen Forschungen aufbaut. Denn als aufmerksamer Quellenarbeiter im weiten Feld der neuen, sozialen Medien hat er früher als andere festgestellt, daß keineswegs eine Suizidwelle aus heiterem Himmel schuld ist an der plötzlichen Zunahme von Zwischenfällen mit jungen Mädchen, die sich gefährlich auf Bahngleisen aufhalten, sondern ein neuer Trend des Sich-selbst-Fotografieren mit der besten Freundin vor Schienenpaaren als kitschiger Metapher für untrennbares, unendliches Zusammengehören.

Was er im Zuge seiner Forschungsarbeiten herausgearbeitet hat, wird zum publizistischen Schwerpunkt und Leitthema: der verheerende Einfluß der Gender-Ideologie auf die Seelen, die charakterliche Stabilität und die Bindungsfähigkeit junger Menschen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gibt Martin Voigt, im Herbst vergangenen Jahres, der Debatte um Gender-Bildungspläne und Alles-ist-erlaubt-Sexualpädagogik entscheidende neue Impulse. Die Sexualpädagogik in den neuen Lehrplänen sei geeignet, Kindesmißbrauch zu fördern und ziele auf die Umerziehung der gesamten Gesellschaft. Detailliert nimmt Martin Voigt die sexualpädagogischen Seilschaften auseinander, die im Hintergrund die Fäden ziehen und eifersüchtig ihre Pfründe verteidigen. Ein breites Publikum wird, vielfach wohl zum ersten Mal überhaupt, mit den zentralen Forderungen der Gender-Ideologie konfrontiert, die hinter der „Sexualpädagogik der Vielfalt“ steht: weniger Menschen und mehr sexuelles Vergnügen, freie Verhütung und Abtreibung, experimenteller Sexualkundeunterricht und Abschaffung von Elternrechten, Frauenquoten und Frauen-Erwerbsarbeit; Demontage kritischer Religionen.

Das ist Aufklärung im besten Sinne: Immer argumentierend, sachlich belegend, nie diffamierend, sondern stets nüchtern schlußfolgernd, und dabei trotzdem deutlich in der Einordnung und Bewertung.

In einem Beitrag für die katholische Tagespost und das libertäre Netzportal Freie Welt bringt er die inneren Widersprüche der Kulturrevolution auf den Punkt, die vor unseren Augen vollzogen wird.

„Wir haben eine hohe Scheidungsrate, dafür aber die Homo-Ehe. Wir engagieren uns für Behinderte, aber töten behinderte Föten. Wir sind gegen Tierversuche, aber haben die größte Kosmetikindustrie. Wir knuddeln unser Haustier, aber bringen unsere Kinder in die Krippe. Wir füttern Vögel und kaufen Hühnchenbrust beim Discounter. Wir sind für Umweltschutz, aber fahren mit unserem SUV zum Einkaufen. Wir reden von Menschenwürde und gucken RTL. Wir posten R.I.P. auf Facebook, wenn ein Udo Jürgens oder Joe Cocker stirbt, aber bringen unseren Opa ins Heim. Unser Gebet in einer Kirche ist länger her als der Besuch bei YouPorn. Wir verteilen Kondome in der sechsten Klasse und hoffen, dass unsere Kinder mal die große Liebe finden.“

Wo immer Sie die Phase der beruflichen Orientierung hinführt, in der Sie sich gerade befinden; ich bin sicher, Sie werden auch der Publizistik weiter treu bleiben. Es wird zunehmend stickig im Land; helfen Sie uns weiter dabei, noch mehr Fenster aufzureißen und kräftig durchzulüften. Lieber Martin Voigt, herzlich willkommen im Kreis der Löwenthal-Preisträger, und herzlichen Glückwunsch zu dieser wohlverdienten Auszeichnung.






Michael Paulwitz schreibt seit vielen Jahren als Leitartikler und Kommentator für die JUNGE FREIHEIT. Er ist Träger des Gerhard-Löwenthal-Preises für Journalisten 2011.