© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/15 / 20. November 2015

Zündhölzchen von Gottes Gnaden
Vor vierzig Jahren endete in Spanien mit dem Tod Francos eine jahrzehntelange Diktatur
Wolfgang Kaufmann

Am Morgen des 20. November 1975 vermeldete der Madrider Ministerpräsident Carlos Arias Navarro im staatlichen Rundfunk „Españoles, Franco ha muerto“, „Spanier, Franco ist tot“. Dem vorausgegangen war ein langsames und schmerzhaftes Sterben des „Caudillo de España“ („Führer Spaniens“): Zunächst hatte Franco am 15. Oktober einen ersten Herzinfarkt erlitten, dem innerhalb weniger Tage noch zwei weitere folgten. Dann kam es zu einer heftigen parallelen Magenblutung, welche die Entfernung des Organs nötig machten. Zahlreiche weitere gesundheitliche Probleme führten dazu, daß der seinerzeit letzte Diktator Europas ins Koma fiel, aus dem er nicht mehr erwachte. Damit endete die 39 Jahre währende Ära des sogenannten Franquismus, deren Beginn durch den Putsch vom Juli 1936 gegen die linksgerichtete Volksfrontregierung markiert wurde.

Franco kopierte Attitüden von Hitler und Mussolini

Durch diesen Putsch stieg der am 4. Dezember 1892 im galizischen El Ferrol geborene Francisco Paulino Hermenegildo Teódulo Franco y Bahamonde Salgado Pardo erst zum Chef einer nationalistischen Militärjunta und dann, nach dem Sieg im Bürgerkrieg gegen die Republikaner im April 1939, auch zum alleinigen Machthaber im Lande auf – übrigens sehr zum Erstaunen seines Vaters Nicolas, der es nicht fassen konnte, daß sein schmächtiger, nur 1,63 Meter großer Sohn mit der hohen Fistelstimme, den die Schulkameraden früher als „Cerillita“ („Zündhölzchen“) verspottet hatten, nun plötzlich an der Spitze Spaniens stand: „Paquito als Staatschef!? Paquito als Caudillo!? Daß ich nicht lache!“ Damit unterschätzte der frühere Marineoffizier jedoch das politische Geschick und die Tatkraft seines Zweitgeborenen: Eigenschaften, die es ermöglichten, daß Francisco Franco schon im Februar 1926 mit gerade einmal 34 Jahren zum General avancieren konnte.

Seine militärischen Meriten und Erfahrungen erwarb der spätere Diktator in den langwierigen und blutigen Kolonialkriegen, die Spanien gegen die Berberstämme (Rifkabylen) in seiner Kolonie Spanisch-Marokko führte. Im Kampf gegen die Aufständischen zeigte der bis dahin eher schüchtern auftretende junge Infanterieoffizier derart viel Mut und Einsatzbereitschaft, daß er 1913 beziehungsweise 1916 von König Alfonso XIII. mit dem Großkreuz des Orden del Mérito Militar und dem Orden Militar de Maria Cristina ausgezeichnet wurde – mit letzterem honorierte der Monarch vor allem Francos heldenhaften Einsatz im Gefecht von El-Biutz, in dem er einen Bauchschuß erhielt und den linken Hoden verlor. 

Ebenso entwickelte Franco während der Kämpfe in Marokko ein ausgeprägtes taktisches Geschick und eine Rücksichtslosigkeit im Umgang mit der gegnerischen Seite, welche ihresgleichen suchte. Hierdurch gelang es ihm letztendlich auch, mit seiner Legión Española, dem spanischen Pendant zur französischen Fremdenlegion, die 1920 gegründete Rif-Republik zu zerschlagen, wobei er weder vor systematischem Terror gegen die nordafrikanische Zivilbevölkerung noch dem verbotenen Einsatz von Giftgas zurückschreckte. 

Aufgrund seines rigiden Vorgehens in der Kolonie wie späterhin im Spanischen Bürgerkrieg, der dem reichlich mißglückten Putsch von 1936 folgte, galt der General bzw. Generalissimus (diesen Titel trug Franco ab dem 1. Oktober 1936), beizeiten als ausgemachter Faschist. Und wie um dieses Klischee mit aller Macht zu bestätigen, kopierte Franco dann auch noch Hitler und Mussolini, indem er sich ebenfalls „Führer“ nennen ließ, den Saluto Romano als offiziellen Gruß einführte und eine zumindest semifaschistische Partei, die Falange Española Tradicionalista y de las Juntas de Ofensiva Nacional Sindicalista, gründete.Auch die massenhafte Unterdrückung und Ermordung von Zigtausenden der besiegten Linken nach Ende des Bürgerkriegs 1939 paßt ins Schema der anderen europäischen Diktatoren. Allerdings zeigt sich beim genaueren Hinsehen doch sehr schnell, daß der Franquismus derart viele genuin spanische oder allein auf die Person Francos zurückgehende Elemente aufwies, daß er sich nicht in das übliche Raster der Faschismen zur Zeit des „Europäischen Bürgerkriegs“ pressen läßt.

Zum ersten hatte Franco im Gegensatz zu den beiden anderen europäischen „Führern“ seiner Epoche keinerlei Absichten, eine neue Gesellschaft zu etablieren. Vielmehr war er ein erklärter Traditionalist und Konservativer, weswegen die einzige gemeinsame Schnittmenge des Franquismus mit dem Faschismus im Autoritarismus, Nationalismus, Antiliberalismus und Antikommunismus bestand. 

Zum zweiten lebte das Regime des Caudillo, der niemals vergaß, zu erwähnen, daß seine Führerschaft „auf die Gnade Gottes“ zurückgehe und das Blut seiner Feinde einzig und allein zum Zwecke der „Erlösung“ fließe, in enger Symbiose mit der katholischen Kirche des Landes, weswegen gelegentlich von einem „Klerikalfaschismus“ gesprochen wird, was aber nur ein rhetorischer Kniff ist, um die gravierenden Unterschiede zu Hitlers Deutschland und Mussolinis Italien zu verwischen, wo jeweils Ideologien herrschten, die dem Religiösen vollkommen konträr gegenüberstanden.

Und zum dritten sah Francos persönliches Auftreten ganz anders aus als das vom „Führer“ und vom „Duce“: im Gegensatz zu diesen unternahm er nämlich keinerlei Versuche, den Mann aus dem Volke zu mimen, um so die Massen auf seine Seite zu locken. Stattdessen umgab er sich angesichts des um ihn entfalteten Personenkultes mit einer Aura der Unnahbarkeit, die vor allem dem Zweck diente, sein mangelndes Charisma zu kaschieren. Dieser Stil war praktisch eine Erfindung Francos und wurde später von zahlreichen, sozial gehemmten Juntachefs in aller Welt kopiert. 

Die Sonderstellung Francos unter den europäischen Diktatoren des 20. Jahrhunderts zeigte sich dann auch im Zweiten Weltkrieg. Abgesehen von der Bereitstellung der „Blauen Division“ für den Kampf gegen das kommunistische Regime in Moskau verwickelte er Spanien in keine größeren militärischen Abenteuer, um mehr „Lebensraum“ zu gewinnen, und wahrte so die neutrale Stellung seines Landes. Dies gelang ihm nicht zuletzt dadurch, daß er Hitler immer wieder geschickt unerfüllbare Vorbedingungen für einen formellen spanischen Kriegseintritt auf seiten der Achsenmächte nannte, bis der Führer entnervt stöhnte, „er ließe sich lieber mehrere Zähne ziehen, als noch einmal mit Franco zu verhandeln“. Deshalb unterblieb dann unter anderem die deutsche Besetzung Gibraltars, welche wohl das gesamte Kräfteverhältnis im Mittelmeer und Nordafrika und damit auch den Kriegsverlauf entscheidend beeinflußt hätte.

Ebenso agierte Franco auf ganz eigene Weise, was den Umgang mit den Juden betraf: Trotz seiner antisemitischen Grundhaltung gestand er den Anhängern der mosaischen Religion weiterhin die vollen Bürgerrechte zu; darüber hinaus nahm Spanien im Zweiten Weltkrieg mehr Juden auf als jedes andere neutrale Land. Und als Franco 1944 von Auschwitz erfuhr, stoppte er alle Rohstofflieferungen an das Dritte Reich.

Strategischer Verbündeter gegen die UdSSR nach 1945

Allerdings führte nicht diese Entscheidung zum Ende der Ausgrenzung des Caudillo durch die internationale Staatengemeinschaft, sondern der Umstand, daß die USA und die anderen Westmächte nach 1945 im beginnenden Kalten Krieg strategische Verbündete gegen die UdSSR beziehungsweise den Kommunismus suchten – und als solcher taugte der Caudillo zweifelsohne. Innenpolitisch wiederum profitierte Franco von seinen Wirtschaftsreformen, welche Spanien innerhalb nur eines Jahrzehnts zur Industrienation machten und dem Volk ungekannten Wohlstand bescherten. Außerdem führte er die Monarchie wieder ein, wobei der Thron aber bis zu seinem Tode vakant blieb.

Danach begann der Prozeß der weitgehend friedlichen „Transición“. Zunächst übernahm König Juan Carlos I. die Geschäfte des Staatsoberhauptes, dann wählten die Spanier das erste Parlament seit 1936. Dabei unterblieb jedoch lange Zeit die gesellschaftliche Aufarbeitung der Franco-Zeit. Diese setzte erst um 2004 ein. Seitdem stehen sich zwei Parteien gegenüber. Die eine Seite preist Francos Verdienste, die andere – die mittlerweile deutlich mehr Zuspruch genießt – rückt die Verbrechen unter seiner Ägide in den Mittelpunkt. Hieraus resultierte unter anderem die Demontage sämtlicher Franco-Denkmäler in Spanien; das letzte fiel 2008 in Santander.