© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/15 / 20. November 2015

„Bürger vier“ gegen den Überwachungsstaat
„Citizenfour“: Endlich zeigt die ARD Laura Poitras’ Film über Edward Snowden und seine Verbündeten
Ronald Gläser

General James Clapper wird in einem Parlamentsausschuß in die Mangel genommen. Senator Ron Wyden befragt den Geheimdienstchef: „Sammelt die NSA irgendeine Art von Daten über Hunderte Millionen US-Bürger?“ Clappers Antwort fällt knapp aus: „No, Sir.“ „Wirklich nicht?“ „Nicht wissentlich“, sagt Clapper und schüttelt den Kopf. Vielleicht würden manchmal versehentlich Daten gesammelt, aber nicht absichtlich. So geschehen im März 2013.

Eine Lüge. Sie wird Edward Snowden einmal mehr angespornt haben, endlich sein Wissen über die zahlreichen Überwachungsprogramme wie Sigint oder Prism preiszugeben. Egal wie hoch der Preis sein mag, den er dafür zahlen muß. Wenige Wochen später brach der Computerexperte auf, um den Journalisten Glenn Greenwald in Hongkong zu treffen. Von diesem Treffen im Juni 2013 handelt „Citizenfour“.

Der Film ist eine Abrechnung mit dem amerikanischen Herrschaftssystem. Mit dem Geheimdienst- und Militärapparat im allgemeinen und der Regierung Barack Obamas im besonderen. Wie viele Linksliberale ist Greenwald enttäuscht darüber, daß Obama keinen Kurswechsel in der amerikanischen Politik vollzogen hat: Guantanamo blieb in Betrieb. Der Überwachungsstaat und der Drohnenkrieg hingegen wurden sogar ausgedehnt.

So wurde aus dem George-Bush-Kritiker Greenwald zügig ein noch größerer Obama-Gegner. Er ist der eigentliche Widersacher Obamas, Snowden „nur“ der Informant. Die Handlung von Citizenfour beginnt nicht zufällig mit einer Szene, in der Greenwald am Telefon die gebrochenen Versprechen Obamas auseinandernimmt. „Nach Obamas eigenen Worten hat er also keine Befugnis zu dem, was er jetzt tut“, sagt er zu seinem Gesprächspartner. Das war 2011.

Der regierungskritische Blogger Greenwald wechselte im darauffolgenden Jahr zur US-Ausgabe der britischen Tageszeitung Guardian und arbeitete sich an dem Thema Überwachungsstaat ab. Ende 2012 bietet ihm ein Unbekannter Informationen an, besteht aber auf einem komplizierten Verschlüsselungssystem. An diesen technischen Fragen scheitert die Kommunikation.

Später nimmt der Unbekannte – es handelt sich um Snowden – Kontakt zu der Filmemacherin Laura Poitras auf und bietet ihr sein Material an. Auch sie ist oppositionell eingestellt und hat Ärger mit den US-Geheimdiensten. Snowden nennt sich im Chatraum Citizenfour (zu dt. „Bürger vier“).

Viele Szenen sind in           Berlin gedreht worden

Poitras zieht nach Berlin, um sich der Umklammerung der US-Dienste zu entziehen. Sie hat die beiden Hauptprotagonisten begleitet und reichlich Filmmaterial, aus dem sie schöpft. Bei der ersten Begegnung des achttägigen Treffens von Poitras, Greenwald und Snowden nennt letzterer seine Motivation: „Es geht mir um die Macht des Staates im Vergleich zu den Möglichkeiten des Volkes, sich dieser Macht zu widersetzen.“ Er habe es nicht mehr ausgehalten, die Macht des Staatsapparats auszudehnen. 

Snowden sitzt später auf seinem Bett und schaut zu, wie sich die Enthüllungen von Greenwald zur Story des Jahres entwickeln. Beide sprechen darüber, ob und wann Snowden selbst an die Öffentlichkeit treten soll. Die NSA ahnt es bereits, aber noch ist Snowden für die Öffentlichkeit ein Unbekannter.

In der nächsten Aufnahme packt er aus. Snowden will mit seinem Namen für die Geschichte einstehen und zeigen, wie wichtig Widerstand gegen den Überwachungsapparat ist. „Mein Name ist Ed Snowden. Ich arbeite für Booz Allen Hamilton“, lächelt er in die Kamera und erzählt seine Geschichte. Millionen Fernsehzuschauer werden wenig später diese Bilder sehen. Später sammelt er seine Sachen in einer Plastiktüte zusammen und bereitet sich auf das scheinbar Unvermeidliche vor: „Wenn ich verhaftet werde, dann werde ich eben verhaftet.“

Dazu kommt es nicht. Und das liegt unter anderem an der Unterstützung durch Wikileaks und eine internationale Anwaltsgruppe, deren Treffen in Berlin Poitras filmen durfte. Ein Bürgerrechtler fürchtet, daß das Urteil der US-Justiz bereits feststeht: „Uns ist klar, daß zu 95  Prozent die Politik und nur zu fünf Prozent das Recht entscheidet.“ 

Poitras ist auch in der Redaktion des Spiegel, als die Geschichte ihres abgehörten Handys vorbereitet wird. Und sie begleitet Bill Binney zu seiner Aussage vor dem NSA-Untersuchungsausschuß im Deutschen Bundestag im Frühjahr 2014.Der NSA-Whistleblower wird eingeführt mit einem Vortrag vor jungen Leuten, wo er die Machenschaften von Ministern und Geheimdienstbossen schildert. Er sagt: „Eine Woche nach 9/11 begannen sie, jeden Bürger dieses Landes auszuspionieren.“ Im Bundestag wird er über diese Überwachungstechniken sagen: „Ich sehe das als die größte Bedrohung der Demokratien in aller Welt.“ 

Folgen hatten die Snowden-Enthüllungen nicht. Die Massenüberwachung geht ungehindert weiter. General Clapper ist immer noch im Amt. Snowden konnte nach Moskau entkommen. Er hat dort Unterschlupf gefunden. Deutschland hat seinen Asylantrag abgelehnt. 

Foto: Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden: „Wenn ich verhaftet werde, dann werde ich eben verhaftet“