© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/15 / 20. November 2015

Pankraz,
P. Pawlenski und die Kunst als Verbrechen

Einige Künstlerkreise in Berlin, hat sich Pankraz erzählen lassen, feierten die Terroranschläge von Paris letztes Wochenende als „großes Kunstwerk“. Vom moralischen Standpunkt aus gesehen habe es sich  natürlich um ein schweres Verbrechen, zudem um ein „Weltverbrechen“ gehandelt, aber „in der Kunstperspektive“ erscheine die Aktion als höchst gelungen, ja geradezu bewundernswert. Moral und Kunst seien nun einmal nicht miteinander deckungsfähig, hätten im Grunde nichts miteinander zu tun.

Schon einmal, nämlich bei „Nine-Eleven“, dem Terroranschlag auf das New Yorker World Trade Center im September 2001, waren solche Töne zu vernehmen gewesen. Aller Welt stockte damals der Atem vor Entsetzen angesichts des entfesselten Bösen, doch einige überzeugte Ästhetiker schwärmten insgeheim von der „künstlerischen Einzigartikeit“ der Fernsehsequenzen, die den Schrecken abbildeten, und dazu noch in „Echtzeit“! Wo hatte es je so etwas gegeben?

Allein schon die immer wieder ikonenhaft vorgeführte Sequenz mit dem Flugzeug, das in den Südturm des WTC hineinrast, und dem riesigen Feuerball entfaltete eine unheimliche Faszination. Der Himmel war blau, der Südturm erstrahlte in makellosem Weiß, die Kurve, die das Flugzeug unmittelbar vor dem Aufprall beschrieb, war elegant und von spielerischer Grazie. Kein noch so raffinierter Kunstfilm hätte es besser machen können.


Auch die Logistik des Anschlags, wie sie im Laufe der Übertragungen offenbar wurde, war – ästhetisch-mathematisch betrachtet – ein Meisterwerk. Hier war mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Wirkung erzielt worden, nicht zuletzt an symbolischer. Die Endformel der Operation war von äußerster Knappheit, genau wie es die mathematische Ästhetik vorschreibt, „Williams Rasiermesser“, benannt nach dem Nominalisten William von Ockham: Der einfachste und kürzeste Weg zum Ziel ist immer der schönste.

Wie gesagt, kein moralisches Entsetzen, kein mitleidender Gedanke an die Qualen der Opfer konnte den widerwillig anerkennenden ästhetischen Subtext aus der Welt schaffen. Sind das Gute und das Schöne vielleicht doch zwei völlig verschiedene Welten, Platon und der klassischen Theorie zum Trotz, denen zufolge die beiden aufs engste zusammengehören? Es gibt ja tatsächlich die „romantische“ Gegentheorie. „Das Schöne ist des Schrecklichen Anfang“, dichtete Rilke in den Duineser Elegien, eine Gleichung herstellend, die man umdrehen kann: Der Anfang des Schreckens ist die Schönheit.

Haben wir, wie es in einigen Kommentaren hieß, mit den Ereignissen von Paris jetzt auch ein europäisches „Nine-Eleven“ bekommen, so daß endlich Ernst gemacht wird mit der Bekämpfung des Islamismus und der Eindämmung muslimischer Einwandererströme, in denen sich die Islamisten tummeln wie die Fische im Wasser? Man wird abwarten müssen. Hilfreich dürfte der entschiedene Hinweis sein, daß Schrecken und Schönheit keineswegs einander bedingen oder gar miteinander identisch sind. Fast das Gegenteil ist richtig. 

Der ästhetische Effekt beim amerikanischen „Nine-Eleven“ verdankte sich nicht dem entfesselten Terror in der Echtzeit, sondern einzig seiner mimetischen Verdoppelung durch das Fernsehen. Mimesis und Realereignis sind nie und nimmer dasselbe. Die Mimesis, also die technische Abbildung oder sprachliche Vergegenwärtigung des Realereignisses, schafft spontane Distanz, in der sich sofort Erkenntnis und positive Gefühle entfalten, Zorn über die Verbrecher, Mitleid mit den Opfern, geistige Gegenwehr und Wille zur Unterbindung.

Natürlich bestehen Kunst und Literatur zu einem guten Teil aus der Darstellung des Bösen: Rechtsbruch, Gewalttaten und andere Verbrechen. Verbrechen liefern geradezu die Folie für den Auftritt des Guten, Wahren und Schönen; siehe hierzulande den sonntäglichen „Tatort“ mit seinen klugen, bärbeißigen oder auch rabauzigen Kommissaren. Das bedeutet aber beileibe nicht, daß Kunst und Literatur selber Verbrechen sind. Und was für die Kunst gilt, gilt selbstverständlich auch für die Künstler. Diese standen bisher stets prononciert auf der Seite des Guten, was immer sie auch darunter verstehen mochten.


Selbst der notorische Moskauer „Ereigniskünstler“ Pjotr Pawlenski, für den es nach eigener Aussage eigentlich gar keine mimetische Kunst, sondern nur „handfeste Echtzeit-Handlungen“ geben sollte, hat sich bisher an die Konvention gehalten. Seine politischen Proteste gegen dies und das verliefen bis vor kurzem alle rein symbolisch, also mimetisch. Er schnitt sich etwa in öffentlicher Performance die Ohrläppchen ab, nähte sich den Mund zu oder nagelte seinen Hodensack auf einen Stuhl auf dem Moskauer Roten Platz. Es war masochistisch-ekelhaft, doch alles geschah strikt im Rahmen der Gesetze.

Vorige Woche aber hat er die Eingangstür zur Lubjanka, dem Sitz des russischen Inlansdgeheimdienstes, angezündet und richtig abgefackelt. Er wurde festgenommen und muß einen Kriminalprozeß wegen Brandstiftung gewärtigen. Die Differenz zwischen Mimesis und Realverbrechen ist endlich überwunden! Ob er damit der Kunst oder sich selbst einen Gefallen getan hat, steht auf einem anderen Blatt. Er wird nun wohl für einen Augenblick in die Geschichte eingehen, freilich nicht in die internationale Kunstgeschichte, sondern in die Moskauer Kriminalgeschichte.

Für die Pariser Terroristen ist die Figur Pawlenskis ein recht treffendes Symbol, und es ist gewiß kein ästhetisches. Sie sind weder Künstler noch Politiker, sie sind schlicht Lumpenpack. Die berühmte „Schönheit des Teufels“ jedoch, von der Baudelaire so gern sprach, kann man nur mit dem wirklich Schönen verwechseln, wenn sich die etablierten Mondgesichter des erklärten Guten allzu lange hinter Wolken verstecken, Wortwolken, leeren Ideologemen, bombastischen Einbildungen. Das ist dann die Stunde der Attentate und des wahren Schreckens.