© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/15 / 20. November 2015

Oligarchen greifen nach der Lausitzer Braunkohle
Energiepolitik: Schwedischer Staatskonzern Vattenfall könnte deutsches Geschäft an Tschechen verkaufen / Citibank wirft Greenpeace aus dem Bieterrennen
Paul Leonhard

Der schwedische Staatskonzern Vattenfall beschäftigt die Bundesregierung. Es geht um viel Geld, den deutschen Atom- und den schwedischen Kohleausstieg sowie um Klagen vor Geheimgerichten. Mit dem beschlossenen Nachhaftungsgesetz für Betreiber von Kernkraftwerken will der Bund verhindern, daß sich Energiekonzerne aus ihrer Verantwortung bei der Entsorgung des Atommülls stehlen. Die Möglichkeit, daß diese ihre Atomsparte Tochterfirmen übertragen und diese pleite gehen lassen, soll so unterbunden werden.

Schweden kämpft mit harten Bandagen. So geht es bei der Klage vor dem Washingtoner Schiedsgericht ICSID wegen Angela Merkels Atomausstiegs um 4,7 Milliarden Euro. Auch gegen die Nachhaftung will Vattenfall klagen. „Wir werden das Gesetz genau prüfen und gegebenenfalls dagegen vorgehen“, zitierte die Wirtschaftswoche Konzernvertreter. Und dann geht es um deutsche Ausgleichszahlungen wegen der von Berlin geforderten Stillegung alter Braunkohlekraftwerke. So soll die Abschaltung von zwei Blöcken des Vattenfall-Großkraftwerkes Jänschwalde helfen, die EU- „Klimaziele“ zu erreichen.

Zudem wird die nationale Energiepolitik immer unberechenbarer. Der Regierungswechsel zu Rot-Grün in Schweden hat zu radikalen Änderungen geführt: Während Deutschland an der Verstromung der Braunkohle teilweise festhält, setzt Schweden jetzt ausschließlich auf Atom- und Erneuerbare Energien. Der Vattenfall-Konzern, der 2014 noch Protesten ausgesetzt war, weil er seine Tagebaue in der zu Sachsen und Brandenburg gehörenden Lausitz massiv ausbauen wollte, mußte die Kohlesparte auf Regierungsweisung zum Verkauf ausschreiben. In der offiziellen Begründung wird auf die „unsicheren energiepolitischen Rahmenbedingungen“ für die Braunkohle und die Stromerzeugung in Deutschland verwiesen.

„Der Vorschlag der Bundesregierung, eine Braunkohlekapazitätsreserve zu schaffen, brachte die nötige Klarheit, um den Verkaufsprozeß zu eröffnen“, erklärte Vattenfall-Chef Magnus Hall. Ein endgültiger Abschluß wird erst für 2016 erwartet. Schon zuvor waren alle Umsiedlungsaktionen für betroffene Bewohner im vor allem sorbischen Siedlungsgebiet gestoppt worden.

Seit Jahresanfang ist die Polska Grupa Energetyczna (PGE) als Käufer im Gespräch. Der Warschauer Staatskonzern PGE besitzt das Großkraftwerk Türchau (Turów) und will ab 2025 auch östlich der Neiße neue Braunkohlentagebaue betreiben. In Guben soll zudem ein Kraftwerk eröffnen. Auch die CEZ-Gruppe – ebenfalls börsennotiert mehrheitlich in Staatshand – interessiert sich für die fünf Tagebaue und 14 Braunkohlekraftwerke in der Lausitz.

In Nordböhmen sind die Tagebaue bald erschöpft

Die Tschechen haben bereits Erfahrungen mit deutscher Energiepolitik. Sie waren von 2009 bis 2011 zur Hälfte an der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft (Mibrag) beteiligt. Daß sie ihre Mibrag-Anteile verkauften, war dem anderen Miteigentümer, dem Konkurrenten EPH/EP Energy, geschuldet. Diese tschechische Energie- und Industrieholding besitzt zudem schon die Saale Energie (Schkopau) und diverse Auslandsanteile in der Slowakei und Polen. Beim Vattenfall-Poker wird EPH von der Investmentgruppe PPF des schillernden 51jährigen Oligarchen Petr Kellner unterstützt, der laut der „World’s Billionaires“-Liste des US-Magazins Forbes mit 8,4 Milliarden Dollar der reichste Mann der Tschechei ist. Vizepremier und Finanzminister Andrej Babiš (Gründer der international aktiven Agrofert-Holding) wird laut Forbes auf 2,5 Milliarden und Rang zwei taxiert.

CEZ-Chef Daniel Beneš hält die deutschen Pläne, Braunkohlekraftwerke voreilig zu schließen, für „eine übereilte ideologische Entscheidung, die zu einem Wettbewerbsnachteil“ führen würde. Deutschland und Tschechien hätten „noch für mindestens eine Generation Braunkohlenkraftwerke vor sich“, sagte der aus Mähren stammende Energiemanager der Sächsischen Zeitung.

Die deutsche wie die tschechische Stromerzeugung beruhte 2014 zu etwa fünfzig Prozent auf Kohle. Erneuerbare Energien, die in Deutschland schon 16,3 Prozent ausmachen, spielen in der Tschechei – anders als die Atomkraft – bislang kaum eine Rolle. Trotzdem soll das Land 2022 aus der Braunkohlegewinnung aussteigen. Das hänge mit der „Samtenen Revolution“ von 1989 zusammen, behauptet die Umweltorganisation Greenpeace. Damals sei das Verbot beschlossen worden, Privatpersonen für neue Tagebaue zu enteignen. Auch der Kohleabbau im Hauptfördergebiet Nordböhmen dürfe nur innerhalb der bestehenden Tagebaugrenzen erfolgen – und diese seien in sieben Jahren erschöpft. Vielleicht geht es auch noch schneller, da EPH wegen Kritik tschechischer Umweltschützer den Braunkohleimport vorerst einstellen muß. Nur noch bis zum Jahresende wird die Tochter EP Energy als Mibrag-Eigner die böhmischen Braunkohlekraftwerke in Opatowitz (Opatovice nad Labem) und Kummern bei Brüx (Komorany u Mostu) beliefern.

Der Erwerb der Lausitzer Braunkohle könnte jedoch das „fossile Zeitalter“ verlängern, befürchtet Greenpeace. Und ein Kohleexport könnte zudem zu einem Herunterfahren der deutschen Braunkohleverstromung führen. Eine These, der Beneš widerspricht: Ein Braunkohleexport nach Tschechien sei ökonomisch nicht sinnvoll. Auch bei der eigenen Kaufofferte für die Lausitzer Braunkohle (JF 43/15) lag Greenpeace falsch: Die mit dem Verkaufsprozeß beauftragte Citibank unterstellte „mangelnde Ernsthaftigkeit“ und schloß die Umweltschützer Anfang November aus dem Bieterverfahren aus.