© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/15 / 20. November 2015

Seehofers schwarzrotgoldene Option
Union: Vor dem Parteitag der CSU in München denken Parteistrategen über eine deutschlandweite Ausdehnung der Christsozialen nach
Hinrich Rohbohm

Wenn am kommenden Wochenende der CSU-Parteitag in München beginnt, wird nicht nur Parteichef Horst Seehofer seine gescheiterten Forderungen in der Asylkrise erklären müssen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel – mit ihrer Willkommenspolitik für viele Christsoziale Hauptverursacherin des außer Kontrolle geratenen Migrationsstromes – wird zugegen sein und muß sich einer zutiefst verärgerten Basis der Schwesterpartei stellen. Ihr kategorisches Nein zu Obergrenzen prallt dann auf die Kontingentforderungen der CSU. Für die Kanzlerin ein heikler Termin.

Der Disput hatte jüngst auch längst beendet geglaubte Debatten darüber entfacht, ob die CSU die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufkündigen und bundesweit antreten solle. Vor fast 40 Jahren, nach der Bundestagswahl 1976, hatte es das schon einmal gegeben. Als Franz Josef Strauß in den legendär gewordenen Kreuther Beschlüssen die Trennung der Unionsparteien verkündete. Die CDU unter Helmut Kohl reagierte, drohte im Falle einer bundesweiten Ausdehnung mit einem eigenen Landesverband in Bayern. Das wirkte. Strauß wollte den Staatspartei-Nimbus, den die CSU in Bayern seit jeher hatte, nicht gefährden und lenkte ein. Seitdem waren jegliche Diskussionen über dieses Thema sinnlos. Bis heute.

Daß die Debatte über eine Ausdehnung der CSU heute wieder neue Nahrung findet, hat einen simplen Grund. Unter Merkel ist die CDU inzwischen dermaßen weit nach links gerückt, daß sich immer weniger Christsoziale noch mit ihr identifizieren können. Das war schon bei Merkels sogenannter „Energiewende“ und „Eurorettung“ der Fall. Durch die Asylpolitik der Kanzlerin hat sich dieser Trend nun noch einmal deutlich verstärkt.

Natürlich dienten die jüngsten Spekulationen darüber der CSU-Führung lediglich als Druckmittel, um die CDU in der Asylkrise zum Einlenken zu bewegen. Was deutlich mißlang. Selbst die für Seehofer zur Gesichtswahrung ins Spiel gebrachten Transitzonen, auf die sich die Unionsparteien zunächst verständigten, sind längst wieder Makulatur, weil die SPD dazu nein sagt. Jedoch könnte sich eine bundesweite CSU bei näherer Betrachtung durchaus als strategische Option anbieten, wenn sie statt als Trennung im Streit vielmehr als strategische Chance für beide verstanden würde, das Wählerpotential der Union zu erweitern. Notwendig hierfür wäre jedoch eine gemeinsame statt konkurrierende Vorgehensweise. Einer vom Focus in Auftrag gegebenen Insa-Umfrage zufolge könnte ein getrennter Antritt bei der Bundestagswahl den Stimmenanteil der Union erhöhen. Demnach käme die CSU gegenwärtig auf 14,5 Prozent und die CDU auf 27,5 Prozent. Dadurch würde die Union gemeinsam 42 Prozent auf sich vereinen. Im Falle eines gemeinsamen Wahlantritts käme die Union laut Insa auf 35 Prozent. Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl 2013 hatte die CSU einen Stimmenanteil von 7,4 Prozent. Sie würde somit ihre Bundestagsmandate von derzeit 56 auf dann knapp 100 fast verdoppeln können.

CDU und CSU könnten dabei von Konrad Adenauer lernen. In den fünfziger Jahren gab es mit der Deutschen Partei (DP) in Niedersachsen eine weitere Regionalpartei. Adenauers CDU verständigte sich seinerzeit darauf, in den Hochburgen der DP keine eigenen Direktkandidaten aufzustellen. Was der Partei zu drei Direktmandaten und dem Einzug in den Bundestag verhalf, obwohl sie unter der Fünfprozenthürde blieb. Für die Union hatte dies den Vorteil eines loyalen Koalitionspartners und eines breiten bürgerlichen Bündnisses, das von der christlich-sozialen Mitte bis hinein in nationalkonservative Kreise reichte. Ein Bündnis, das der Union von heute abhanden gekommen ist. Nachdem die FDP 2013 aus dem Bundestag flog, steht die Union ohne bürgerlichen Partner da. Die SPD hingegen kann nach Belieben mit einem rotrotgrünen Bündnis drohen, sollten CDU und CSU sich ihren Forderungen widersetzen.

Daß es dazu gekommen ist, hat Gründe. Schon seit Jahren arbeitet die politische Linke in Deutschland an strategischen Allianzen. Etwa in Form des Instituts Solidarische Moderne, einer linken Denkfabrik, die über die Parteigrenzen von SPD, Grünen oder Linkspartei hinweg gemeinsame inhaltliche Positionen erarbeitet. 

Getrennt marschieren, vereint kämpfen

Woran deutlich wird: Entgegen allen Beteuerungen der SPD dürfte ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene nur noch eine Frage der Zeit sein. Mit einer deutschlandweiten CSU könnte die Union vor allem jene konservativen Wähler zurückgewinnen, die sich von der CDU längst abgewandt haben und entweder zu Nichtwählern geworden sind oder ihre Stimme inzwischen der AfD geben wollen. Die CSU könnte somit Auffangbecken für all jene werden, denen die CDU mittlerweile zu linksliberal, die AfD aber zu radikal, zu antiwestlich und zu putinfreundlich erscheint.

Sind sich die Schwesterparteien einig, wären mehrere für sie günstige Optionen denkbar. Eine bundesweit zur Wahl stehende CSU könnte sich mit der CDU darauf verständigen, außerhalb Bayerns keine Direktkandidaten aufzustellen. Im Gegenzug würde die CDU auf Direktkandidaten in Bayern verzichten. Auch wäre denkbar, daß die CSU nur zur Bundestags- und Europawahl außerhalb Bayern antritt und die CDU gleichzeitig von einem Wahlantritt zur bayerischen Landtagswahl absieht.

Getrennt marschieren, aber vereint kämpfen könnte sich somit künftig durchaus als attraktive Option für die Unionsparteien anbieten.

Foto: CSU-Chef Horst Seehofer im Bayerischen Landtag: Konservative Wähler zurückgewinnen