© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/15 / 20. November 2015

„Pegida-Anhänger einfach mal ganz dolle knuddeln“
Innere Sicherheit: Eine Diskussionsveranstaltung zum Rechtspopulismus in Europa präsentiert angesichts des Terrors in Paris überraschende Lösungsvorschläge
Cornelius Persdorf

Der Titel klingt nach Spannung: „True Lies“ heißt die Veranstaltungsreihe „gegen Rechtspopulismus und Islamophobie“ – pikanterweise genau wie ein Hollywood-Streifen der neunziger Jahre, in dem Arnold Schwarzenegger gegen fanatische arabische Terroristen kämpft. So kämpferisch war die vom Institut für Europäische Politik und des Progressiven Zentrums ausgerichtete Podiumsdiskussion in Berlin dann aber doch nicht, wie schon der entwarnende Untertitel verriet: Gemeint ist die Wahrheit über die Lügen zu Europa. Die Lügner – das sind die anderen, die Rechtspopulisten. Tenor: Der Terror von Paris erfordert eine Antwort – gegen Rechts. 

Der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), forderte zu Beginn, gerade „in stürmischen Zeiten“ müsse Europa zu seinen humanitären Überzeugungen stehen. Das Plädoyer für Europa geriet bei der Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Clara Herrmann, weniger staatstragend, dafür emotionaler. Sie beklagte eine „parallele Öffentlichkeit“ unter den rechtsorientierten Bürgern: „Man kommt da gar nicht mehr rein. Die koppeln sich ja völlig ab.“ Herrmann beobachtet einen „Ruf nach Autoritarismus“ unter AfD- und Pegida-Sympathisanten. „Wieso treffen die sonst Putin?“ 

Funda Tekin, die Projektleiterin der Diskussionsreihe und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Europäische Politik, pflichtete der Grünen bei: Die Zustimmung zur europäischen Union sei mit den vergangenen und gegenwärtigen Krisen geschwunden. Für Tekin ist das Problem einfach: „Die EU an sich ist recht komplex“ und folglich für viele Bürger schwer zu durchschauen aufgrund der schieren Vielzahl von Verträgen. „Das Wort Verträge an sich zeigt ja schon, daß es mehrere sind“, erklärte die promovierte Politologin. Außerdem bewirke das Demokratie-defizit, „an dessen Abbau aber gearbeitet wird“, zusätzliche Frustration und Euroskeptizismus. Dennoch bleibt sie optimistisch: Das Erstarken rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen zeige: „Man setzt sich wieder mit Eu-ropa auseinander. Wir besinnen uns auf unsere Grenzen und merken wieder, daß es Grenzen gibt.“ 

Leidenschaftslos, aber faktenreich referierte dagegen der von Moderatorin Leslie Nachmann als „Quotenmann“ vorgestellte Populismusforscher Florian Hartleb. „Das Problem war lange bekannt“, sagte er mit Blick auf die Zuwanderungskrise. Schonungslos gab Hartleb die Meinungen von Experten und Ministern wieder, die auf die Gefahren der Zuwanderungsströme hinwiesen. Finanzexperte Bernd Raffelhüschen rechne mit Steuererhöhungen von bis zu sechs Prozent. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sehe nur zehn Prozent der Einwanderer als tauglich für den Arbeitsmarkt. „Durch die Flüchtlinge nimmt die Arbeitslosigkeit zu“, prognostizierte der hemdsärmelige Passauer. Die Aufnahmekapazität eines Staates sei begrenzt. „In diesem Punkt hat Viktor Orbán leider recht.“ 

Im krassen Gegensatz zu Hartleb menschelte die Videojournalistin Johanna Maria Knothe lieber etwas, als sie die Vermutung äußerte, „daß viele Pegidisten einfach mal ganz dolle geknuddelt werden müßten“. Doch die vielseitigen Diskussionsansätze nützten am Ende nichts – zumindest aus Sicht von Sigmund L., der unter den Hartnäckigen im Publikum war, die bis zum Ende geblieben waren. Er nutzte die abschließende Fragerunde für eine Abrechnung: „Das eigentliche Problem ist folgendes: Wenn ein Hauptschüler sich diese Diskussion anhören würde, bekäme er nur das Kotzen“, machte der Mann sich Luft.