© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/15 / 20. November 2015

Die Fahrkarten bitte!
Asylkrise: Die Bahn widerspricht Behauptungen, Flüchtlinge reisten umsonst
Cornelius Persdorf

Kontrolle in einem Zug der Deutschen Bahn an einem Novembermorgen. „Die Fahrausweise bitte.“ Die Schaffnerin geht von Reihe zu Reihe durch den vollen Waggon. Die Fahrgäste zeigen ihre Fahrkarten, mal lässig und längst vorbereitet, mal überrascht und hektisch kramend. Nur vier arabisch sprechende Männer zeigen sich scheinbar unbeeindruckt. Sie rühren sich nicht, unterbrechen beim Anblick des Kontrolleurs nur kurz ihre Unterhaltung. Doch die Bahnmitarbeiterin scheint sich für die vier nicht zu interessieren und geht an ihnen vorbei. 

Berichte über Szenen wie diese machen seit Wochen die Runde. Die Botschaft ist immer die gleiche: Asylbewerber, so heißt es, könnten kostenlos mit dem Zug durch Deutschland fahren. Sie würden mittlerweile nicht einmal mehr kontrolliert. Aber stimmt das auch?

Die Deutsche Bahn reagiert äußerst zugeknöpft auf entsprechende Fragen. Eine Anfrage der JUNGEN FREIHEIT blieb trotz mehrmaliger Nachfrage bis Redaktionsschluß unbeantwortet. Auskunftsfreudiger gab sich das Unternehmen Anfang des Monats gegenüber der Thüringer Allgemeinen. Nein, Flüchtlinge führen nicht kostenlos, beteuerte ein Sprecher der Bahn. Auch Asylbewerber bräuchten anders als häufig behauptet einen gültigen Fahrausweis. Normalerweise erhielten Flüchtlinge direkt nach ihrer Registrierung von den örtlichen Behörden einen Gutschein, mit dem sie dann ein Ticket für die Fahrt in die Aufnahmeeinrichtung erwerben. 

An dieser Praxis hat sich auch im Monat drei der Asylkrise nichts geändert. Sollte jedoch ein Asylant keine Fahrkarte haben, werde ihm ein Ersatzticket verkauft. Wenn dies „aufgrund von Zahlungsunwilligkeit oder Sprachbarrieren nicht möglich“ sei, bekomme der Reisende ein kostenloses Sonderticket ausgestellt, teilte die Bahn mit. 

Auch einem häufig bahnfahrenden JF-Leser beschrieb die Bahn die Routine, Asylbewerber zur Not unentgeltlich mit einem gültigen Fahrausweis zu versorgen. „Flüchtlinge, die ohne Fahrkarte angetroffen werden, erhalten vom Zugbegleiter eine spezielle Ersatzfahrkarte bis zum Zielort“, beantwortete Anfang November eine Sprecherin der Bahn dessen Anfrage, wie Bahnangestellte mit Einwanderern ohne Fahrausweis umgingen. Außerdem gebe es für die Kontrolleure einen gewissen Ermessensspielraum. „Alle Fahrkarten in unseren Zügen werden kontrolliert. Ausnahmen im Einzelfall stehen im Ermessen des Zugbegleiters/Kundenbetreuers“, heißt es in der Mail, die der JF vorliegt.

Das Unternehmen spricht von Ausnahmefällen

„Mit der Regelung für kostenlose Ersatzfahrscheine haben wir auf die teils chaotischen Umstände in unseren Zügen reagiert“, begründete die Bahn diese Praxis gegenüber der Thüringer Allgemeinen. Das Unternehmen wies demnach Fahrkartenkontrolleure an, bei einem fahrkartensäumigen Einwanderer nicht die Polizei zu benachrichtigen. Auch die Aufnahme der Personalien sei nicht nötig. Ohnehin handele es sich um „absolute Ausnahmefälle“. Überprüfen läßt sich diese Angabe nicht, da die Bahn nach eigenen Angaben die Zahl der Schwarzfahrer bisher nicht erfaßt.

Offen bleibt bislang, ob die Großzügigkeit der Bahn gegenüber Asylbewerbern ohne Fahrscheine nur greift, wenn die Betroffenen auf dem Weg von der Registrierung in einer Aufnahmeeinrichtung sind – oder auch bei sonstigen, zusätzlichen Fahrten durch Deutschland. Hierfür könnte ein Foto von Anfang September sprechen, das der JF vorliegt. Es dokumentiert eine über das elektronische Reise-Informations-System verbreitete Anweisung an Bahnmitarbeiter. Diese werden darin angewiesen, Flüchtlinge nicht zu kontrollieren.

Transparenter ist die Praxis bei den Berliner Verkehrsbetrieben. Asylbewerber, die vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) mit einem Armband zur Registrierung ausgestattet wurden, können damit die öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin nutzen. Allerdings werde dem Antragsteller im Gegenzug monatlich 26 Euro von den ihm zustehenden Sachleistungen abgezogen. Nach Angaben der Berliner Finanzverwaltung entspreche dies ungefähr dem Wert eines Studententickets. Beweggrund für die Regelung sei unter anderem Bürokratieabbau. „Damit trägt das Land dem erheblichen Mobilitätsbedarf Geflüchteter in der Großstadt Berlin mit ihren langen Wegen Rechnung und gibt gleichzeitig den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verkehrsunternehmen bzw. den von ihnen beauftragten Kontrolleuren die erforderliche Sicherheit für ihre Arbeit“, teilte die Senatsverwaltung mit.

Ähnlich ist die Praxis in Karlsruhe. In der Stadt ist die Landesaufnahmestelle für Asylbewerber in Baden-Württemberg untergebracht. Seit dem vergangenen Jahr erhalten Flüchtlinge dort eine kostenlose „Kombikarte“ zur Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel. Die Kölner Verkehrsbetriebe teilten auf JF-Anfrage hingegen mit, die Flüchtlinge in der Domstadt erhielten lediglich eine Ermäßigung beim Kauf von Fahrkarten, die sie in der Regel in Einrichtungen der Stadt bekämen.

Foto: Asylbewerber in einem Zug der Deutschen Bahn: Ermessensspielraum für Kontrolleure