© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/15 / 13. November 2015

Knapp daneben
Jeder trägt Verantwortung
Karl Heinzen

Früher steckten die Bürger in der Schweigespirale, und die Gesellschaft war vor ihnen sicher. Sie belästigten nur ihre direkten Mitmenschen, und diese wußten damit umzugehen. Heute tragen die sozialen Medien jede Gehirnblähung in die weite Welt hinaus. Jeder, der sich ihrer bedient, ist eine Person des öffentlichen Lebens und trägt Verantwortung. Er muß wissen, was er tut.

Bert Pampel hat dies nicht gewußt. Über Twitter tönte er, daß eine Regierung, die sich nicht an Recht und Gesetz halte, Mitschuld trage, wenn sich Bürger gegen illegale Einwanderung wehrten. Dies kann als subtiler Versuch gewertet werden, zu rechtfertigen, was nicht rechtfertigt werden darf. Erschwerend kommt hinzu, daß Pampel einen Beruf ausübt, der eine besondere Sensibilität verlangt. Als stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten hat er nicht nur dafür zu sorgen, daß überall dort, wo man in seinem Zuständigkeitsbereich an die Abgründe der Geschichte erinnert, defekte Glühbirnen ausgetauscht und die Abfallbehälter regelmäßig geleert werden.

Wahrscheinlich war alles noch viel schlimmer. So viel Leid, so viele Tränen. Schlimm.

Seine Berufung sollte es sein, mit den Gedenkstätten von heute dafür zu sorgen, daß nicht neues Unrecht geschieht, das zukünftige Generationen dazu zwingen würde, weitere Gedenkstätten zu errichten. Viele Twitter-Nutzer sollen, weiß Spiegel Online zu berichten, die Einlassungen Pampels als Relativierung von Gewalttaten gegen Flüchtlinge und Verteidigung von Pegida interpretiert haben. Wahrscheinlich war alles noch viel schlimmer. Man erzählt sich von Kneipen, die vorzeitig schlossen, weil ihre Gäste den Tweet lasen und verstört nach Hause aufbrachen. Schulkinder, denen ihre Eltern beim Frühstück von dem Vorfall berichteten, brachen in Tränen aus und mußten traumatisiert dem Unterricht fernbleiben. Flüchtlinge auf dem Balkan, das vermeintliche Land ihrer Träume vor Augen, kehrten um, weil sie nicht die eine Barbarei gegen die andere tauschen wollten. So viel Leid, so viele Tränen. Wann werden Menschen wie Pampel endlich begreifen, was sie mit dem, was sie, schlimm genug, bloß für eine Meinung halten, alles anrichten?