© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/15 / 13. November 2015

Seifenoper für gebildete Spanner
Hat er oder hat er nicht? Peter Greenaway schaut in seinem Film „Eisenstein in Guanajuato“ vor allem auf langweilige Nebensachen
Sebastian Hennig

Das Autorenkino mit künstlerischem Anspruch neigt dazu, sich selbst ins Abseits zu manövrieren. Selbst bei den wirklich starken Regie-Talenten zeigt sich rasch die Erschöpfung. Beispielsweise versteht es Quentin Tarantino, merkwürdige Geschichten einzurichten. Aber in letzter Zeit wußte er oft nichts anderes mehr damit anzufangen, als sie in einem schier end- und spannungslosen Showdown zu zerlegen. Dann hat ihn der österreichische Schauspieler Christoph Waltz vor einigen Jahren zu einer Vorstellung von Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ in das Opernhaus von Seattle mitgenommen. Was dadurch in ihm bewirkt wurde, werden wir wohl im Januar erfahren, wenn sein neuester Film „The Hateful Eight“ in die wenigen Kinos kommen soll, die immer noch mit analoger 70mm-Projektionstechnik ausgerüstet sind. Der Reklamefilm zum Kinostart zeigt eine Handlung, die tatsächlich etwas an ein Fazit aus dem ersten Akt von „Die Walküre“ und dem Finale von „Götterdämmerung“ erinnert. 

Schon lange nicht mehr mit Spannung erwartet werden müssen die Filme von Peter Greenaway. Der britische Regisseur verblüffte Ende der achtziger Jahre mit einer irrealen neuen Orthographie des Kinos. „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ wirkte 1989 atemberaubend. Doch schon der nächste Film „Prosperos Bücher“, nach Shakespeares Sommernachtstraum, war vor allem langweilig und wirr. Jetzt rückt er mit „Eisenstein in Guanajuato“ wieder etwas mehr in den Lichtkegel des Kintopp, der sich von Indiskretion, Kolportage und sentimentalem Schmonzes nährt. Die Regel „Sex sells!“ gilt um so mehr bei Totalitarismuspornographie. Zudem läßt sie sich im Sonderfall Sowjetkommunismus noch intellektuell verbrämen.

Niemand käme auf die Idee, einen Film über die großen sowjetischen Filmpioniere Grigori Kosinzew und Leonid Trauberg zu machen. Der zeitgleich tätige Sergej Eisenstein dagegen ist selbst eine Ikone, weil er ein bolschewistischer Ikonenmaler war. Was Verschwörungstheoretiker von Stanley Kubrick behaupten, er sei der Regisseur der US-Mondlandung, welche sich angeblich außerhalb eines Hollywoodstudios nie ereignet hätte, das trifft auf Eisenstein wirklich zu. Er ist der Regisseur des bis heute immer noch bestimmenden Bildes von der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Die Petrograder sollen sich beschwert haben, während der Dreharbeiten zum Film „Oktober“ (1928) sei mehr Schaden entstanden als während des Ereignisses, dessen Motive dem Film zugrunde liegen.

Ohne derart zu randalieren macht es Greenaway ähnlich. Er legt den tatsächlichen Arbeitsaufenthalt des russischen Regisseurs Eisenstein 1931 in Mexiko zugrunde, um daraus eine individuelle Erweckungsgeschichte zu machen. Der Ansatz hätte vielversprechend sein können. Aber anstatt das epische Potential des Filmpropagandisten, sein ästhetisches Durchdringen zum Elementaren, darzustellen, geht es eher darum, ob er seinen latent invertierten Eros in Mexiko ausgelebt hat. Der Zuschauer erfährt wenig darüber, was Eisenstein wollte und was ihn bewegte, sondern vielmehr: Hat er oder hat er nicht?

Eisensteins (Elmer Bäck) mexikanischer Aufpasser Palomino Cañedo (Luis Alberti) fungiert als Verführer. Aber was konnte das bedeuten gegen die Verführung, die Mexiko für den Sowjetmenschen darstellte? Hier wird viel verspielt und auf dem Altar unserer modernen Vorstellungen von Selbstverwirklichung geopfert. Auch der bedeutende Aspekt der Ausbeuterpraxis jener Ausbeuterfeinde, die ihm den Film finanzierten, findet sich nur angedeutet in einer possenhaften Szene, als die Gesandten des sozialistischen amerikanischen Romanschriftstellers Upton Sinclair Eisenstein zur Einstellung seiner Arbeit bringen. Sie raubten dem Künstler sein kostbarstes Material, und Eisenstein wurde zurückgestoßen in die Unfreiheit, wo er unter so tristen wie hysterischen Propagandamythen wie „Alexander Newski“ und „Iwan Grozny“ seine Karriere begraben mußte. Jene großartige künstlerische Emanzipation, mit der nahezu zeitgleich Friedrich Wilhelm Murnau in der Südsee, gleichfalls mit ausschließlich eingeborenen Darstellern, durch „Tabu“ sein Werk krönte, blieb Eisenstein versagt. 

„Eisenstein in Guanajuato“ ist ein Film über die langweiligste Nebensache der Welt. Ein Film für Spanner, Intellektuellen-Trash, Doku-Soap für Gebildete, so etwas wie „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ für Fortgeschrittene. Die simple Story wird aufgebürstet mit Effekten. Die Parallel-Projektion mehrerer Bilder nebeneinander, wie Eisenstein und Abel Gance sie praktizierten, ist kombiniert mit Spielereien moderner Bildbearbeitung, wenn Eisenstein sich in einem Bild in drei Figuren auffächert. 

Der Regisseur schreibt über den Regisseur: „Wir hofften, mit dem Film zehn Tage im Leben eines großartigen Filmemachers zu erzählen, und wollten auf keinen Fall einen Film, der ein unterwürfiger Kniefall war.“ Entstanden ist daraus ein bizarr-langweiliges Konglomerat aus Dekonstruktion und Kitsch. Selbst das mexikanische Lokalkolorit bleibt künstlich. Der Besucher verläßt das Kino mit der Ahnung, daß das Objekt der Betrachtung dieser mit Sicherheit in jeder Hinsicht überlegen war. Es ist eine Einladung, den Torso des Films „Que viva Mexico!“, wie er von fremden Händen fünfzig Jahre nach dem Tod Eisensteins zusammengestückelt wurde, einmal anzusehen. Anders kann sich der verewigte Autor nicht gegen die systematische Indiskretion wehren, die Greenaway mit seinem Film fortsetzt.