© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/15 / 13. November 2015

Dissens statt großer Gesten
Frankreichs kritischer Blick auf Deutschland: Ob Euro oder Zuwanderung – Paris hadert mit dem Nachbarn
Friedrich Thorsten Müller

Irgendwelche Zweifel wollte Jean-Marc Todeschini nicht aufkommen lassen. Sicher, so der französische Staatssekretär für Kriegsveteranen und Gedenkkultur vergangene Woche vor der Presse, werde das Zusammentreffen von Frankreichs Präsident François  Hollande und Kanzlerin Angela Merkel zum hundertjährigen Gedenken an die Schlacht von Verdun „in der Kontinuität der starken Geste von François Mitterrand und Helmut Kohl“ am 22. September 1984 stehen. Die beiden Regierungschefs hatten sich vor der Kulisse des Schlachtfeldes und den Kameras der Weltöffentlichkeit demonstrativ an der Hand gehalten.

Doch Zweifel sind angebracht, ob   Todeschinis Rekurs auf die Vergangenheit der Realität standhält. Diskutierte nicht die französische Regierung zunächst auch die Einladung sämtlicher EU-Parlamentarier oder die aller lebenden Friedensnobelpreisträger, bevor sie sich für ein Zusammentreffen von Hollande und Merkel vor dem Beinhaus von Douaumont am 29. Mai 2016 entschied?

Schleichende Entfremdung des ehemaligen „Tandems“

Dies ist nur eine kleine Anekdote, aber irgendwie steht sie symptomatisch für die schleichende Entfremdung im vormaligen „deutsch-französischen Tandem“. Es ist eigentlich nichts Großes vorgefallen zwischen den beiden Ländern. Frankreichs Wirtschaft und Staatsfinanzen ermüden von Jahr zu Jahr mehr daran, über den Euro so eng an Deutschland gekettet zu sein. Entsprechend versucht Paris sich durch eine Bankenunion oder Hollandes im Juli geäußerten Wunsch nach einer EU-Wirtschaftsregierung per Transferunion Linderung zu verschaffen. 

Die Kanzlerin wiederum empfindet das als illoyal, und gleichzeitig ist ihr auch die Frankreichfixiertheit der meisten ihrer Vorgänger fremd. Außerdem erwartet sie wohl spätestens seit der Volksabstimmung 2005 über eine europäische Verfassung aus Paris nicht mehr den „großen Wurf“ zu Europas Einigung. Damals war der Vertrag von Maastricht als europäische Verfassung von den Franzosen mit 54,7 Prozent der Stimmen abgelehnt worden.

Hinzu kommen immer wieder kleinere und größere Verletzungen. Frankreich verschlechtert gerade in seinen Schulen den Zugang zum Deutschunterricht. Nicht wenige Franzosen sind sich zudem bewußt, daß am Ende der Fahnenstange auch ein französischer Euroabschied stehen könnte, wenn es nicht gelingt, aus der Gemeinschaftswährung ein weicheres – mehr mediterranes – Zahlungsmittel zu machen. Nicht zu unterschätzen ist jüngst im mehrheitlich einwanderungskritischen Frankreich auch das Unverständnis – ja die Wut – auf die Merkelsche Grenzöffnungspolitik. 

So geht man nicht zu Unrecht davon aus, ebenfalls seinen Anteil neuer außereuropäischer Einwanderer abzubekommen, wenn die Deutschen leichtsinnig Willkommensschilder in die Kameras der Weltpresse halten und die Kanzlerin sich für Selfies mit illegalen Einwanderern zur Verfügung stellt. Besonders schlecht kommt die deutsche Willkommenskultur beim Front National an. Marine Le Pen polterte erst kürzlich, daß Deutschland mit seiner „im Sterben liegenden Demographie“ Flüchtlinge als Sklaven und Lohndrücker benötige – um Frankreich noch mehr das Leben schwerzumachen.

Grenzkontrollen als Breitseite gegen Berlin 

Nach der deutsch-französischen Freundschaft befragt, bezichtigt Le Pen Deutschland des mangelnden Respekts und des Mißbrauchs der europäischen Völker, der jener bis auf weiteres im Wege stünde. 

Nicht besser sieht es am anderen Ende des politischen Spektrums aus, wo Jean-Luc Mélenchon als Chef der Linkspartei zum letzten Jahreswechsel eine 200 Seiten dicke Streitschrift gegen „das deutsche Gift“ – den Ordoliberalismus – publizierte. Deutschland betreibe die Politik seiner Rentner. Darum brauche es einen starken Euro und dicke Dividenden. Investitionen in die Zukunft – für eine „nicht existierende Jugend“ – bräuchte es schließlich nicht. Wenn man bedenkt, daß die Kommunisten in Frankreich heute schon für fünf bis zehn Prozent der Stimmen gut sind und daß nach einer aktuellen Ifop-Umfrage 46 Prozent der Franzosen die regierenden Sozialisten nicht links genug sind, ist auch das keine rosige Perspektive.

Es ist unübersehbar, daß sich in Frankreich die Germanophobie der erstarkenden politischen Ränder zumindest als Gleichgültigkeit oder Unverständnis gegenüber Deutschland in die politische Mitte einschleicht. Mit dem deutschen Wunsch nach einem starken Euro und dem Alleingang in der Grenz-öffnungspolitik liegt Kanzlerin Merkel sowohl bei einem der wichtigsten linken als auch dem mächtigsten rechten Thema mit dem politischen Frankreich im Dissens. Als bräuchte es noch ein Symbol für mehr Abstand, wird Frankreich vom 13. November bis 13. Dezember nun anläßlich des UN-Klimagipfels in Paris die Grenzkontrollen wieder einführen.