© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/15 / 13. November 2015

Staatsnotstand stoppen
Asylkrise: Die Bundesregierung handelt erst, wenn sich der Druck weiter erhöht
Dieter Stein

Wir nähern uns einem Staatsnotstand in Deutschland – wenn wir nicht längst mittendrin sind. Die Exekutive, die Bundesregierung, weigert sich, mit den ihr unterstellten Organen, Recht und Gesetz durchzusetzen. Seit Monaten strömen unablässig, Tag für Tag, Nacht für Nacht, Tausende über die deutsche Grenze, nach geltendem Recht illegale Einwanderer. Erst rechnete man mit 400.000, dann 800.000, jetzt bis 1,5 Millionen Asylsuchenden für 2015.

Die von Medien gefeierte „Refugees welcome“-Party war gestern. Stattdessen breitet sich in Deutschland zunehmend Fassungslosigkeit und Entsetzen aus. Ehrenamtliche Helfer, Polizisten, Sanitäter, die in Sonderschichten Dienst schieben – sie sind am Ende. Kommunalpolitiker verzweifeln und senden flehend Appelle nach Berlin. Wie der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der feststellt: „Die Bundesregierung schafft es nicht.“ Immer lauter fragen die Deutschen ihre Regierung: Wann werden notwendige Entscheidungen endlich getroffen? 

Wir blicken in einen stündlich wachsenden Abgrund politischen Versagens. Wir erleben, wie utopistische Illusionen im Zusammenprall mit der Realität platzen wie Seifenblasen. Eigentlich offenbarte schon die Eurokrise das Scheitern der EU. Hier zeigte sich, wie Verträge gebrochen wurden, bevor die Tinte trocken war. Warum sollten nun die Abkommen von Dublin und Schengen mehr wert sein? In der Eurokrise läßt sich das Desaster bis jetzt noch hinter undurchsichtigen Rettungsschirmen, ESM-Schattenbanken und virtuellen Luftbuchungen verschleiern. Für die Eurorettung werden schließlich keine Turnhallen an örtlichen Schulen beschlagnahmt. Die eskalierende Asylkrise ist hingegen für alle Bürger im Alltag greifbar. 

Die deutsche politische Klasse hat sich bequem darin eingerichtet, harte politische Fragen, militärische Verteidigung und äußere Sicherheit an supranationale Instanzen wie EU und Nato wegzudelegieren. Unsere „zivilgesellschaftlichen“ Eliten pflegen bei zentralen Fragen staatlicher Existenz die Haltung: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß.“ Wer aber schützt im Ernstfall den Staat, der Demokratie, Freiheit und Recht garantiert? Souverän ist bekanntlich, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Die Völkerwanderung des Jahres 2015 serviert uns den Ausnahmezustand: Und dieser Ausnahmezustand zeigt, daß die EU impotent ist. Deshalb kehrt ein EU-Staat nach dem anderen zu souveränen nationalen Lösungen zurück. 

Es wurde Schwarzer Peter gespielt, statt zu reagieren. Frühzeitig warnten Sicherheitsexperten aus Innenministerien, BND, ausländischen Diensten vor den Folgen der aus dem Ruder laufenden Flüchtlingsströme. Doch eine offene Debatte darüber ist in Deutschland von Tabus und zwanghafter politischer Korrektheit verstellt. Die Bundesregierung stellte sich taub.  

Unter frenetischem Jubel der deutschen Leitmedien setzte Angela Merkel am 4. September die Dublin-Regeln für Syrer außer Kraft. Der letzte Schritt, der alle Dämme brechen ließ. Die Kanzlerin rief und alle, alle kamen. Eine katastrophale Fehlentscheidung von historischer Tragweite. In ganz Europa hält man uns deshalb für verrückt. Kein EU-Staat ist bereit, die Suppe über Quoten auszulöffeln, die sich die Deutschen selbst einbrocken.

Die entscheidendste aller Entscheidungen ist nun die Wiedereinsetztung eines intakten Grenzregimes: Weil es die EU an ihren Außengrenzen nicht schafft, weil es die Nachbarstaaten nicht schaffen, müssen wir es selber tun: Grenzen für illegale Einwanderer schließen. Ende der Diskussion.

Der auf unserer Titelseite veröffentlichte 7-Punkte-Plan zur Lösung der Asylkrise kann nur Ausgangspunkt für eine neue, realistische Asyl- und Einwanderungspolitik sein. Das geltende EU-Flüchtlingsrecht und die deutsche Asylpraxis entpuppen sich als „Schönwetterrecht“, wie der Staatsrechtler Kay Hailbronner feststellte. Nach dem Asylbegriff des Grundgesetzes, rechnete Peter Gauweiler kürzlich vor, fallen von sieben Milliarden Erdenbürgern 80 Prozent potentiell unter ein Bleiberecht in unserem Staat – ein irrwitziger Zustand, weshalb das Asylgrundrecht eingeschränkt werden muß. 

Um unsere Gastfreundlichkeit und Integrationsbereitschaft zu erhalten, müssen wir einerseits den Zuzug drakonisch begrenzen. Andererseits müssen wir Kriegsflüchtlingen, beispielsweise aus Syrien, direkt in der Herkunftsregion helfen, und Deutschland muß sich hierbei auch finanziell und organisatorisch sehr viel umfangreicher humanitär engagieren. Bereits aufgenommene Asylbewerber sollten künftig schneller arbeiten und Unterstützung an gemeinnützige Tätigkeit gekoppelt sein. 

Deutsche Politiker haben harte, vermeintlich „inhumane“ Entscheidungen verlernt und fürchten negative Bilder. Auch weil die Chefredakteure der gebührenfinanzierten Staatssender und meinungsbildenden großen Zeitungen bis dato eine konsequente Politik nicht mittragen und ihre Mitverantwortung für diese Krise verweigern. Der jüngste Koalitionsgipfel spiegelte die skandalöse Entschlußlosigkeit der Bundesregierung wider. Die mageren Ergebnisse wurden sofort wieder zerredet. Doch lange geht dies nicht gut.

Die Regierung Merkel taumelt. Damit die Bundesregierung endlich handelt, muß der Druck durch die Bürger selbst verstärkt werden. Die steigenden Umfragewerte der AfD, aktuell schon bei zehn Prozent im Bund, sind für die Union alarmierend. Entweder Merkel führt eine scharfe Wende herbei – oder sie macht den Platz frei für Politiker, die in der Lage sind, die Krise zu beherrschen. Es geht um Deutschland.