© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/15 / 06. November 2015

Knapp daneben
Rücktritt vom Rücktritt
Karl Heinzen

Ignazio Marino hat sich als Mediziner einen Namen gemacht. Als seine Spezialität gilt die Organtransplantation. Dies prädestinierte ihn aus Sicht der italienischen Linken für das Amt des römischen Bürgermeisters. Nach bedrückenden Jahren unter einem mafiotischen Regime sollte er der Hauptstadt eine neue Seele einpflanzen. Sauber und korrekt würde es unter ihm zugehen, vollkommen transparent und ohne finstere Seilschaften im Hintergrund.

Leider war die Operation nicht erfolgreich. Marino entdeckte, daß dienstliche Kreditkarten in Restaurants auch dann akzeptiert werden, wenn man private Rechnungen begleicht. Wie so vielen seiner Landsleute war ihm Lebensart und Gastfreundschaft einiges wert. 20.000 Euro aus der Stadtkasse sollen auf diese Weise in die Ankurbelung der Gastronomie investiert worden sein. Als es aufflog, hielt er es für das beste, seine Schuld zu leugnen und zugleich den im Raum stehenden Betrag zurückzuzahlen.

Einem Helmut Schmidt würden die Bürger, sogar wenn sie Nichtraucher wären, eine zweite Chance geben.

Nicht nur der Öffentlichkeit fiel auf, daß die beiden Elemente dieser Verteidigungsstrategie schlecht zusammenpaßten. Auch seine Parteifreunde ließen ihn fallen. Enttäuscht von so viel Mißgunst erklärte er seinen Rücktritt und gelobte sogar, von der rechtlich zulässigen Möglichkeit eines Rücktritts vom Rücktritt keinen Gebrauch zu machen. Dieses Versprechen hat er nun gebrochen. Da die Linken im Stadtrat daraufhin ankündigten, ihrerseits zurückzutreten, wenn er seinen Entschluß nicht revidiere, ist zu erwarten, daß Marino von seinem Rücktritt vom Rücktritt wieder zurücktreten wird.

Normalerweise ist Politik nicht einmal in Italien so kompliziert. Politiker, die abtreten, sind meistens für immer weg vom Fenster, und alle Bürger atmen erleichtert auf. Auch in Deutschland sehnte sich niemand, wie schlimm es auch kommen mochte, nach einem Kohl oder einem Schröder zurück. Eine Ausnahme wäre jedoch hierzulande vorstellbar. Viele Menschen wünschen der Sozialdemokratie einen Spitzenkandidaten, der der Kanzlerin gefährlich werden kann. Einem Helmut Schmidt würden sie, sogar wenn sie Nichtraucher wären, eine zweite Chance einräumen.