© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/15 / 06. November 2015

Alle Vorteile, kein Streß
Beziehungsstatus „Mingle“: Von Verbindlichkeit, Ehe und Kinderkriegen wollen viele nichts hören
Heiko Urbanzyk

Waren das noch Zeiten, als das Ende der ersten Liebe auf der Schule den Untergang der Welt bedeutete. Heute: Etwas Freundschaft, etwas Sex, und alles ist gut. Jeder stirbt für sich allein im Altersheim. Den Streß einer festen Beziehung tun sich die Deutschen immer seltener an. Denn eine fehlende Beziehung macht nicht mehr zum Single.

„Mingle“ heißt die neue Zweisamkeit. Ganz im Sinne des „Das bin ich mir wert“-Zeitgeistes werden alle Vorzüge der althergebrachten Partnerschaft mit den Vorteilen des Alleinstehendendaseins verbunden. Die lästige Verbindlichkeit eines verpflichtenden Beziehungsstatus’ entfällt, der Geschlechtsakt und gemeinsame Abenteuer bleiben.

Selbstfindungsphase          bis Ende Dreißig

Der Begriff Mingle ist eine Wortschöpfung, die auf den Trend- und Zukunftsforscher Peter Wippermann zurückgeführt wird. Die Verbindung von „mixed“ und „Single“ bedeutet, daß der Beziehungsstatus offiziell auf alleinstehend lautet. Mingles stehen in der Verbindlichkeit eine Stufe über den profanen „fuck buddies“, also zwei Menschen, deren Zusammenkunft einzig und allein dem Koitus dient und keinem weiteren gemeinsamen Interesse darüber hinaus. Diese Lebensweise soll besonders bei Erwachsenen von Anfang Zwanzig bis Mitte Dreißig im Trend liegen. Seßhaftigkeit, Ehe und Kinderkriegen spielen in dieser Altersgruppe eine immer geringere Rolle. Der Selbstfindungsphase heute immer länger jugendlich Bleibender sind diese hinderlich. Möglich würde der Mingle-Zustand auch deshalb, weil es heute nicht mehr notwendig ist, eine verbindliche Beziehung oder gar eine Ehe einzugehen, um den sexuellen Trieb zu befriedigen, erklärte Wippermann Mitte August der Rheinischen Post. Die jährliche Studie der Stiftung für Zukunftsfragen, die die Bundesbürger nach ihrer Einstellung zum Thema Familie befragt, zeige für das vergangene Jahr eine signifikante Veränderung: „In diesem Jahr gaben erstmals über 60 Prozent der Befragten, die keine Kinder wollten, als Grund an, daß sie lieber frei und unabhängig sind.“

Bei näherem Hinschauen bezeichnen sich wohl die wenigsten Mingles selbst als solche. Ihre „Beziehung“ ist – unausgesprochen oder ausdrücklich – auf Unverbindlichkeit angelegt, ohne daß es dafür eine Selbstreflexion bräuchte. Einigen Experten zufolge leidet darunter allerdings meistens einer der beiden „Partner“, nämlich der, der bereit wäre, aus dem ungeklärten Status eine Beziehung zu machen. Der andere dagegen genießt und hält zugleich Ausschau nach jemandem, mit dem er wirklich eine Beziehung eingehen würde. Paartherapeuten nennen das die „Unverbindlichkeitsfalle“. Zu dieser gehört auch, daß sich die eigene Persönlichkeit erst am Partner entwickle, nicht am Ich.

Die neue Unverbindlichkeit könnte den psychosozialen Zustand unserer Gesellschaft also massiv beeinflussen. Wird es der Marsch in ein Reich sozialer Krüppel? Einsamkeit fürchten die Deutschen übrigens mehrheitlich nicht. Das belegen sowohl Studien des Familienministeriums als auch des Deutschen Zentrums für Altersfragen. Trotzdem: Konstant etwa 30 Prozent aller Senioren klagen heute über Einsamkeitsgefühle. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis das Mingle-Dasein den Senioren diese Einsamkeitsgefühle nimmt?

Der neue Sinn für offene Beziehungen gärt, glaubt man der Zeitschrift Eltern, auch unter jenen, die im Hafen der Ehe angelangt sind. Die August-Ausgabe präsentierte zum Thema „Sex in Zeiten des Babyhabens“ auffallend laute Stimmen, die eine offene Beziehung loben, nachdem das Ehel(i)eben nach der Geburt der Kinder zum Erliegen kam. Freilich, die Ehefrau oder der Ehemann seien nicht immer von der neuen Offenheit begeistert gewesen – aber im Bett würde es durch das bewußte Fremdgehen daheim wieder besser klappen. „Für meine Kinder ist es normal, daß Mama auch mal einen anderen Mann küßt“, berichtet die 35jährige zweifache Mutter Anna. Wer sich in seinen „One-Night-Stand“ verliebt, ohne die Liebe zu seinem Ehepartner zu verlieren, darf sich „polyamor“ nennen. Das ist immerhin verbindlicher als das Mingle-Leben.

Bleibt am Ende dieser Entwicklung als die einzig wahre Liebe das erste „Miteinandergehen“ in der Schule? Nein, meint der Single- und Paarberater Eric Hegmann (Hamburg) auf seinem Blog. Ein Massenphänomen seien die Mingles nicht. „Aber der Wunsch nach Spaß ohne Verpflichtung ist ganz offensichtlich massenhaft vorhanden.“