© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/15 / 06. November 2015

„Die Politik muß sagen, was sie vorhat“
Rüstungsindustrie: Die umstrittene Branche sichert noch immer 300.000 heimische Arbeitsplätze
Christian Schreiber

Als die Bundeswehr vor 60 Jahren gegründet wurde, mußte die Truppe anfangs mit US-Panzern der Baureihen M39 (Hersteller: Buick), M41 (Cadillac), M47 (Detroit Tank Arsenal/Alco) oder M48 Patton (Ford/GM/Alco) vorliebnehmen. Das erste Sturmgewehr G1 war das belgische FN-FAL und das erste Kampfflugzeug die F-84 der amerikanischen Republic Aviation Company. Erst in den sechziger Jahren standen zunehmend Rüstungsgüter „Made in Germany“ bereit.

Ein Grund hierfür waren auch erschreckende Qualitätsmängel der ausländischen Waffensysteme. So wurde der spanisch-schweizerische Schützenpanzer HS 30 durch den Marder (Rheinstahl/MaK) ersetzt. 1965 lieferte Krauss-Maffei den ersten Leopard 1 aus. Der US-Kampfjet Starfighter (F-104 von Lockheed) wurde sogar „Witwenmacher“ genannt, weil mit ihm mehr als hundert deutsche Piloten tödlich verunglückten. Erst 1981 stand mit dem „antiamerikanischen“ Gemeinschaftsprojekt Tornado eine Alternative zur Verfügung, an der Messerschmitt-Bölkow-Blohm maßgeblich beteiligt war.

Waffenexporte völlig außer Kontrolle?

Derzeit diskutiert die deutsche Politik wieder einmal über die Ausstattung der Bundeswehr. Im Zentrum der Kritik steht seit Monaten der Waffenhersteller Heckler & Koch (H&K, JF 19/15). Im April hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit großem Getöse das Sturmgewehr G36 ausgemustert. Es treffe nicht mehr richtig, sei zudem ein Sicherheitsrisiko für die Soldaten. Das württembergische Traditionsunternehmen witterte eine Intrige, warf der Regierung gar vor, sie wolle eine Vernichtungskampagne starten, um lukrative Auslandsaufträge an Land ziehen zu können.

Gegen H&K ermitteln schon seit Frühjahr 2010 Staatsanwälte in Stuttgart, ob illegal Gewehre nach Mexiko geliefert wurden. Dort tobt seit Jahren ein brutaler Drogenkrieg, die Zahl der Todesopfer wird auf mehrere zehntausend geschätzt, Waffenexporte dorthin sind verboten. Der südafrikanische Politiker Andrew Feinstein hatte vor einigen Jahren mit einem Buch für Aufsehen gesorgt, welchem er den Titel „Das Geschäft mit dem Tod“ gab. Es gehört zum Repertoire westlicher Politiker, gegen die Rüstungsindustrie zu wettern und Waffenexporte noch stärker einschränken zu wollen. Auch Sigmar Gabriel reihte sich mit Blick auf den linken Parteiflügel pflichtschuldig ein: Deutschland solle weniger Waffen in die Welt exportieren, forderte der Vizekanzler kurz nach seinem Amtsantritt im Januar. „Es ist eine Schande, daß Deutschland zu den größten Waffenexporteuren gehört“, empörte sich Gabriel damals im Stern.

Nun ist der SPD-Chef ins Fadenkreuz der rot-grünen Opposition geraten. Denn mit dem Zwischenbericht für das erste Halbjahr 2015 lieferte der Wirtschaftsminister überraschende Zahlen: Von Januar bis Juni segnete die Bundesregierung Rüstungsausfuhren im Wert von 3,5 Milliarden Euro ab – eine Steigerung um über 50 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Das geht aus einer Antwort seines Ministeriums auf eine Anfrage der Linken-Fraktion hervor. „Die deutschen Waffenexporte sind völlig außer Kontrolle“, meinte deren Bundestagsabgeordneter Jan van Aken in der Wirtschaftswoche. Für Gabriel und die SPD sei das „hochnotpeinlich“.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich ist der Anstieg der Exportsumme vor allem durch eine Lieferung von vier Tankflugzeugen an den Nato-Partner Großbritannien im Wert von 1,15 Milliarden Euro begründet. Erst 2015 könnte zum Rekordjahr für die deutsche Rüstungsindustrie werden – aber darüber spricht die Bundespolitik nicht gerne. Dabei hängen immer noch zahlreiche und vor allem gut bezahlte Arbeitsplätze in Deutschland an diesem Wirtschaftszweig, obwohl die Beschäftigtenzahl nach Beendigung des Kalten Kriegs drastisch gesunken ist – von 250.000 (1990) auf derzeit weniger als 100.000. Hinzu kommen bei Zulieferern und in der lokalen Wirtschaft noch Tausende weitere Stellen, die auch von der Rüstungsindustrie leben. Laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifor summiert sich die Gesamtzahl auf mehr als 300.000 Arbeitsplätze.

Deutsche U-Boote mit Brennstoffzellenantrieb

Finanzstark ist die Branche obendrein. Umsatzstärkster Konzern war zuletzt der Münchner Panzerbauer Krauss-Maffei-Wegmann (KMW), der unter anderem den Leopard 2 herstellt, jährlich 2,4 Milliarden Euro umsetzt und etwa 2.500 Menschen beschäftigt. Ein noch größerer Arbeitgeber ist Rheinmetall in Düsseldorf, welcher in seiner Waffen-Sparte mehr als 9.000 Personen unter Vertrag hat und mit einem Jahresumsatz von über zwei Milliarden Euro auf Platz zwei kommt (JF 22/15). Rheinmetall stellt ebenfalls Panzer her, ist aber auch auf Munition und Flugabwehrsysteme spezialisiert.

Auf eine lange Tradition in der Waffenproduktion blickt der fusionierte Großkonzern Thyssen-Krupp, der mit seinen „Marine Systems“ weltweit führend bei der Herstellung von U-Booten ist, aber auch Fregatten und Minenräumschiffe im Programm hat. Thyssen-Krupp beschäftigt in diesem Firmenteil derzeit 3.600 Menschen. Auch wenn das Jahr 2015 Umsatzrekorde einbringen könnte, so betrachten die Unternehmen ihre eigene Situation doch eher skeptisch. Selbst die IG Metall, die politisch eine restriktive Rüstungspolitik befürwortet, sorgt sich offen um Arbeitsplätze und Lohnsicherheit: „Die Unternehmen brauchen Gewißheit, die Politik muß ihnen ganz klar sagen, was sie vorhat.“ Denn in Deutschland wächst die Furcht vor einer Arbeitsplatzverlagerung. Auf dem Weltmarkt spielen die deutschen Rüstungsunternehmen ohnehin keine dominierende Rolle, sie gelten eher als Spezialisten. Die ursprünglich von HDW und den Nordseewerken entwickelten U-Boote mit Brennstoffzellenantrieb sind Atom-U-Booten in wichtigen Kampfanforderungen überlegen.

Unter den zehn weltweit größten Rüstungskonzernen findet sich aber mit EADS nur ein Unternehmen mit deutscher Beteiligung. Und gerade dieses Beispiel gilt in Politik und Wirtschaft als abschreckend. Vom ursprünglichen deutsch-französischen Fusionsprojekt, in das der kriselnde deutsche Flugzeugbauer Airbus eingestiegen war, ist kaum etwas übriggeblieben. Heute sitzt die Zentrale in Toulouse, die Firmensprachen sind Französisch und Englisch.

Die Pariser Politik ist bei Waffenlieferungen pragmatisch. In Deutschland muß jeder Export von einem Parlamentarischen Kontrollgremium abgesegnet werden. Im August erlaubte das Bundeskartellamt KMW, mit der französischen Staatsfirma Nexter Systems (Hersteller des Leopard 2-Konkurrenten Leclerc) zu fusionieren. Der neue EU-Rüstungsriese soll den Namen Kant (KMW And Nexter Together) tragen und 6.000 Menschen Arbeit bieten. Experten haben ein Deja-vu-Erlebnis und warnen bereits von einem Panzer-Airbus – doch letztlich war Rüstung schon immer hochpolitisch.

Informationen zu Rüstungsexporten: bmwi.de