© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/15 / 06. November 2015

„Ich will meinem Kind eine Zukunft geben“
Jordanien: Täglich überschreiten 70 syrische Flüchtlinge die Grenze / König Abdullah fordert Unterstützung
Michael Link

An einem Tag registriert der jordanische Grenzschutz innerhalb von 48 Stunden 114 syrische Flüchtlinge. Am nächsten Tag vermeldet die Nachrichtenagentur Petra: „Grenzschutz empfängt 79 Syrer.“ Monat für Monat die gleiche Szenerie.

Seit Ausbruch der arabischen Revolution im Nachbarland leben offiziellen Angaben zufolge um die 1,4 Millionen Syrer in dem Königreich mit seinen 6,5 Millionen Einwohnern. 647.000 davon seien vom Uno-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) registrierte Flüchtlinge. Lediglich ein Fünftel lebt in Camps, die übrigen über das ganze Land verteilt.

86 Prozent dieser Menschen führen  laut UNHCR ein Leben unter der jordanischen Armutsgrenze von etwa 85 Euro pro Kopf und Monat. Dies, so das Hilfswerk, führe dazu, daß eine immer größere Anzahl von Personen aus den städtischen Gebieten in die Flüchtlingscamps gehen. Während das mit 80.000 Flüchtlingen belegte Camp Zaatari, das zur Zeit zweitgrößte Flüchtlingscamp der Welt, bereits lange an seiner Kapazitätsgrenze angelangt sei, steige auch die Zahl der Flüchtlinge im zweiten jordanischen Camp Azraq . Die Ursache für diesen Trend und die Verschlechterung der Situation für Flüchtlinge außerhalb der Lager habe laut UNHCR vorrangig zwei Gründe: Einerseits seien nach Jahren im Exil die Ersparnisse vieler Flüchtlinge aufgebraucht, gleichzeitig fänden sie im Land kaum noch legale Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Der Andrang in jordanischen Flüchtlingscamps und die sich verschlechternden Lebensbedingungen drängen viele Menschen, ihre Flucht in Richtung Europa fortzusetzen, faßt die Jordan Times die Situation zusammen. Einer davon ist Abdul Hakim al-Refa‘e. Der 30jährige macht keinen Hehl daraus, Camp Zaatari zusammen mit seiner Frau und seinem neun Monate alten Sohn zu verlassen. „Ich will meinen Jungen hier nicht aufwachsen sehen“, erklärt er gegenüber Al-Jazeera „Ich werde ihm eine Zukunft geben. Hier können wir nicht ewig leben – an einem Ort, der nicht unser Zuhause ist – und auf den Sankt-Nimmerleins-Tag warten.“ Ja, er wolle nach Europa, erklärt er dem Nachrichtensender. Frau und Kind dagegen würden erst einmal wieder ins heimatliche Daraa zurückkehren. 

König Abdullah von Jordanien hatte Ende September bei der 70. Generalversammlung der Vereinten Nationen an die internationale Gemeinschaft appelliert, Jordanien bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms zu unterstützen. „Die Zahl der syrischen Flüchtlinge beträgt bereits zwanzig Prozent der Einwohnerzahl meines Landes“, unterstrich König Abdullah und warnte vor negativen sozialen und wirtschaftlichen Folgen für Jordanien.

Als unzureichend bezeichnet der UNHCR vor allem die Lebensmittelunterstützung durch das World Food Programme der Uno. Grund sei der Umstand, daß die Geberländer des Welternährungsprogramms die Gelder für die Lebensmittelgutscheine gekürzt hätten. 

Jordanien brauche dringend die Unterstützung der Weltgemeinschaft, im speziellen beim Ausbau der Bildung und des Arbeitsmarkts, betont auch Kilian Kleinschmidt, früherer Leiter des Flüchtlingslagers Saatari. Die Staatengemeinschaft müsse endlich beginnen, die Ursachen der Konflikte und der Armut aktiver zu bekämpfen: „Ihre Probleme gehen uns alle an, nicht nur weil wir eine Weltgemeinschaft sind, sondern auch aus wirtschaftlichen Interessen.“

Foto: Jordanisches Flüchtlingslager Zaatari: Das zweitgrößte Camp der Welt ist mit rund 80.000 Syrern längst an seine Kapazitätsgrenze gestoßen