© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/15 / 06. November 2015

„Sofort, unverzüglich“
Nachruf: Zum Tode des früheren SED-Funktionärs und Maueröffners Günter Schabowski
Detlef Kühn

Ein eigentlich harmloser beruflicher Fehler sichert Günter Schabowski einen festen Platz nicht nur in deutschen Geschichtsbüchern, sondern darüber hinaus auch in allen Werken, die sich mit dem Niedergang des Kommunismus und dem Ende des Kalten Krieges beschäftigen. 

Das Mitglied des Politbüros der SED (seit 1984) und Sekretär des ZK der SED für Informationswesen, zugleich Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung in Ost-Berlin, also ein mächtiger Mann, sollte in einer Pressekonferenz am frühen Abend des 9. November 1989 die Öffentlichkeit über aktuelle Beschlüsse des Politbüros zu Reisemöglichkeiten für DDR-Bewohner in den Westen informieren. Schabowski, der an der Sitzung nur zeitweise teilgenommen hatte, erhielt von Egon Krenz, der Honecker als Generalsekretär nachgefolgt war, einen entsprechenden Zettel zugesteckt. 

Kern der Mitteilung war, daß DDR-Bürger in Zukunft die Möglichkeit erhalten sollten, in den Westen zu reisen und  auch wieder zurückzukehren, ohne sich – wie bisher – strafbar zu machen. Gedacht war an ein geordnetes Verfahren mit Einzelfallprüfung und Erteilung eines entsprechenden Visums in den DDR-Reisepaß. Damit sollte die unkontrollierbar gewordene Massenflucht von DDR-Bewohnern über Ungarn und die Tschechoslowakei tunlichst verhindert werden.

Schabowski informierte die internationale Presse vor laufenden Kameras anhand eines Notizzettels. Auf die naheliegende Frage eines italienischen Korrespondenten, ab wann denn die neue Regelung gelten solle, geriet er kurz ins Stottern. Dann fielen die Worte „sofort, unverzüglich“. Sie elektrisierten nicht nur die anwesenden Journalisten, sondern Fernsehzuschauer in aller Welt, vor allem aber in Ost-Berlin und der DDR, die über die „Heute“-Sendung im ZDF und die „Tagesschau“ im „Ersten“ unmittelbar informiert wurden. Sie machten sich zu Zigtausenden sofort auf den Weg an die Sektorengrenze und erzwangen, unter Berufung auf Schabowski, zuerst an der Bornholmer Straße, dann auch an den anderen Übergängen, den sofortigen Zugang nach West-Berlin. Die Mauer war gefallen, der Weg zur Wiedervereinigung frei.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Günter Schabowski eine kommunistische Bilderbuch-Karriere hinter sich: Geboren 1929 in Anklam/Vorpommern als Sohn eines Klempners. Nach Volksschule und Real-Gymnasium 1946 Abitur in Berlin. Danach Volontär, Redakteur, auch stellvertretender Chefredakteur bei FDGB-Zeitungen. 1950 FDJ und SED-Kandidat, 1952 SED-Mitglied. 

Bekenntnis zur Mitschuld

1962 Diplom-Journalist nach einem Studium an der Karl-Marx-Universität Leipzig („Rotes Kloster“), 1967/68 folgt ein Zusatzstudium an der KPdSU-Parteihochschule in Moskau. Damit war der Weg frei für eine Leitungstätigkeit beim SED-Zentralorgan Neues Deutschland, wo er 1968 stellvertretender, ab 1974  1. stellvertretender Chefredakteur und 1978 schließlich  Chefredakteur wird. Seit 1981 war Schabowski bereits Mitglied des ZK der SED, ab 1986  auch als Sekretär. Seit 1981 ist er Kandidat und seit 1984 Vollmitglied (stimmberechtigt) im Politbüro. Darüber gibt es in der Parteihierarchie dann nur noch die „Nummer 1“, also Erich Honecker und seit dessen Entmachtung im Oktober 1989  Egon Krenz.

Im Gegensatz zu seinen Genossen aus dem Politbüro, die mit Ausnahme von Hans Modrow bald jeden Einfluß verloren, gab es für Schabowski auch nach dem Mauerfall noch ein Leben in der Öffentlichkeit. Er verlor zwar ebenfalls bald alle Parteiämter, war aber weiterhin als Zeitzeuge interessant, ein beliebter Gast in Talkshows und als gut bezahlter Redner gefragt. Auch journalistisch konnte er sich in einer Lokalzeitung als Redakteur betätigen. Was ihn auszeichnete, war, daß er praktisch als einziger der früheren Machthaber der SED in der Lage war, nicht nur das System, dem er so lange gedient hatte, kritisch zu beurteilen, sondern auch seine eigene  Mitschuld nicht zu leugnen. 

Im Strafprozeß gegen Politbüro-Mitglieder wegen der Toten an der Mauer bekannte er sich zu seiner politisch-moralischen Mitschuld und bat die Opfer oder ihre Angehörigen um Verzeihung. Nach dem (milden) Urteil – drei Jahre Gefängnis – verzichtete er auf eine Revision. „Eben weil ich die Tatsache meiner Verstrickung akzeptiert habe“, wie er 2011 in einem Interview mit der JUNGEN FREIHEIT (JF 33/11) sagte. Nach einem knappen Jahr wurde er begnadigt. Seine letzten Jahre waren von schwerer Krankheit überschattet. Am vergangenen Sonntag ist Günter Schabowski im Alter von 86 Jahren in Berlin gestorben.