© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

Sichere Verhandlungen
Wie Stalin Roosevelt und Churchill austrickste / Ein angebliches deutsches Attentat in Teheran 1943
Jürgen W. Schmidt

Während einer KGB-Charme-Offensive entstand 1981 ein sowjetisch-französischer Gemeinschaftsfilm „Teheran 43“ unter Mitwirkung von Alain Delon und Curd Jürgens, der  zwar international kein Renner war, doch immerhin von 43,5 Millionen Sowjetbürgern gesehen wurde. Im Film ging es um einen geplanten Anschlag deutscher Geheimdienste in Teheran, bei welchem Josef Stalin, Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt getötet oder entführt werden sollten. Vereitelt hatten den gefährlichen, von Otto Skorzeny im Auftrag Hitlers geplanten Terrorakt mutige sowjetische Geheimdienstler, welche dadurch den Sieg der Anti-Hitler-Koalition im Zweiten Weltkrieg gewährleisteten. 

Aber gab es überhaupt je Planungen für einen solchen Terroranschlag, über den aus deutschen Quellen rein gar nichts bekannt ist, oder handelte es sich hier um eine Erfindung des listigen Stalin? Immerhin konnte er dadurch US-Präsident Roosevelt bewegen, seine Residenz zusammen mit Stalin in der geräumigen sowjetischen Botschaft in Teheran anstatt in der außerhalb der persischen Hauptstadt gelegenen US-Botschaft zu beziehen, während Churchill in der an die sowjetische Botschaft direkt angrenzenden britischen Botschaft unterkam. 

Dies ermöglichte dem sowjetischen Geheimdienst, wie seit der 1994 erfolgten Veröffentlichung der Erinnerungen des daran beteiligten Berija-Sohns Sergo bekannt ist, die Häupter der westlichen Alliierten umfassend abzuhören. Ähnliche Abhöraktionen führte das NKWD auch während der Konferenzen in Jalta und Potsdam durch, was die sichere Verhandlungsführerschaft Stalins bei jenen Gelegenheiten erklärt. 

Weil sowjetische Geheimdienstveteranen gegenwärtig darauf dringen, dem sich angeblich in Teheran 1943 ausgezeichnet habenden Geheimdienstoffizier Nikolai Krawtschenko postum den Ehrentitel „Held Rußlands“ zu verleihen, kommen russische Historiker immer mehr in Bedrängnis, wenn sie die heroischen Aktivitäten sowjetischer Geheimdienste in Teheran nachvollziehen sollen. 

Noch heute glaubt man in Rußland an Attentatspläne

Es gibt nämlich kaum harte Fakten, welche auf ein geplantes deutsches Attentat hinweisen. Zur Zeit der alliierten Besetzung im August/September 1941 gab es im Iran nur wenige deutsche Geheimdienstler. Der Abwehr-Resident Major Schulze-Holthus, als deutscher Konsul in Täbriz getarnt, floh damals zu den nomadischen Kaschgai, um diese erfolglos zum Widerstand aufzuwiegeln. Der als Journalist getarnte SD-Angehörige Roman Gamotta entkam über die Türkei nach Deutschland, während der Teheraner SD-Resident Franz Mayer passenderweise 14 Tage vor der Konferenz am 17. August 1943 vom sowjetischen Geheimdienst festgenommen wurde, nachdem er sich seit 1941 als Gehilfe des Totengräbers auf dem örtlichen armenischen Friedhof verborgen hatte. 

Mayers Eisernes Kreuz Erster Klasse, von welchem sich der SD-Mann partout nicht trennen konnte, ließ Stalin Churchill als Trophäe und Zeichen eines verhinderten deutschen Anschlags zugehen. Churchill schluckte den Köder und jenes EK I wird heute noch auf Churchills Landsitz Chartwell gezeigt. Auch gegenüber Roosevelt prahlte Stalin mit der Mär vom verhinderten deutschen Attentat. Als dieser daraufhin den betreffenden Geheimdiensthelden persönlich kennenlernen wollte, wurde ihm ein Offizier namens Nikolai Krawtschenko präsentiert. 

Eigentlich oblag Krawtschenko nur die Spionageabwehr im 1.300 Mann starken, motorisierten 131. Schützenregiment der NKWD-Truppen, welches während der Konferenz vom 28. November bis zum 1. Dezember 1943 die sowjetische Botschaft bewachte. Als Roosevelt mit Wohlgefallen auf den reckenhaften Offizier schaute, äußerte er höflich zu Stalin die Hoffnung, der Offizier werde dereinst noch General werden. Daraufhin entgegnete Stalin zuvorkommend, jener Offizier wäre es ab diesem Moment. 

So stieg der 32jährige Krawtschenko unter Überspringung des Ranges Oberst zum Generalmajor auf. Krawtschenko hat die Beförderung allerdings kein Glück gebracht, denn er wurde trotzdem nur in zweitrangigen Dienststellungen verwendet, 1959 mit stark gekürzter Pension aus dem Geheimdienst entlassen und verstarb am 13. April 1977 arm und einsam in Kaliningrad/Königsberg. 

Zudem geben die historischen Fakten bezüglich eines deutschen Attentatsversuchs nicht viel her. Es existiert nur ein angebliches Interview Skorzenys in einer spanischen Zeitung zu Beginn der sechziger Jahre über ein geplantes Attentat in Jalta, zu dem es jedoch nie kam. Ein weiterer Geheimdienstheld der Sowjet-union, Nikolai Kusnezow alias „Oberleutnant Paul Siebert“, welcher in deutscher Uniform in der besetzten Ukraine Kasinogespräche aufschnappte, wollte dort 1943 erfahren haben, daß Skorzeny nach Teheran seinen besten Mann, einen „SS-Sturmbannführer v. Ortel“ in Marsch gesetzt habe. Nur gab es nie einen Major oder Sturmbannführer Rolf v. Ortel im deutschen Geheimdienst. Weil aber v. Ortel nach Teheran einen weiten Weg zurücklegen mußte, glaubt man heute in Rußland noch fest daran, daß jene deutsche Geheimdienstaktion den Codenamen „Langer Sprung“ trug. 

Mittlerweile wurde ein weiteres Indiz entdeckt, welches auf ein deutsches Attentat in Teheran 1943 hindeuten soll. Ein Augenzeuge glaubt sich nämlich jetzt zu erinnern, ein früherer Soldat der Pioniertruppe habe 1977 an der Beerdigung von Generalmajor a. D. Krawtschenko teilgenommen, welcher seinerzeit mit ihm in Teheran weilte. Und wozu kann jener Pioniersoldat wohl anders gedient haben, als die Sprengladungen auf den Fahrtrouten der „großen Drei“ zu beseitigen? Neuerdings hofft man in Rußland darauf, daß 2017 einige englische Akten über Teheran öffentlich zugänglich werden. Vielleicht findet sich darin ein zuverlässiger Hinweis auf einen deutschen Attentatsversuch in Teheran.