© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

Seifenoper aus Old England
Serie: Auch mit der vierten Staffel überzeugt „Downton Abbey“ die Freunde der britischen Adelsgeschichte
Stephan Wupper

Vergewaltigung in Downton Abbey. Während eines Gastauftritts der neuseeländischen Sopranistin Kiri Te Kanawa als Dame Nellie Melba wird eine der sympathischsten Bediensteten Opfer eines brutalen Vergewaltigers. Die Hausangestellte verschweigt den Vorfall. Später stirbt der Vergewaltiger. War es Annas Mann, der Rache genommen hat? Die neue Staffel von Downton Abbey rund um eine aristokratische Familie aus dem englischen Yorkshire bietet Spannung pur.

Das vorausgegangene blutige Ende von Schwiegersohn Matthew stellt hohe Erwartungen an die vierte Staffel um die Grafenfamilien Grantham mit ihrer vielköpfigen Dienerschaft, für die das ZDF nun den Vorhang hebt. Der Drehbuchautor hat bereits zwei Hauptpersonen sterben lassen. Das beweist dramaturgischen Mut, hat das Publikum aber – wie so oft in solchen Fällen – verärgert. Dabei folgte die Dramaturgie allein dem Credo von Victorien Sardou, dessen Theaterstück „La Tosca“ Puccini inspirierte: „Quäle die Heldin! Je stärker, um so mehr Anteilnahme zeigt das Publikum.“ Da auch andere Darsteller die Produktion verließen, dürfen sich die Freunde der Serie auf neue Gesichter freuen.

Mit dem Tod des Erben von Downton kehrt die Erzählung gleichsam an ihren Ausgangspunkt zurück, als der ursprüngliche Erbe und Angetraute der ältesten Grafentochter Mary samt seiner dynastischen Zukunft mit der Titanic in den Fluten des Nordatlantiks versank. Die Erbfolge erkor jenen bürgerlichen Anwalt Matthew zum nächsten Anwärter auf den Titel, dessen unprätentiöse Umgangsformen die aristokratische Verwandtschaft befremdeten.

Bis sie sich finden, sind viele Mißverständnisse aufzulösen, muß im Ersten Weltkrieg mit Entbehrungen und Verletzungen der Sieg errungen werden und bedarf es einer wundersamen Heilung. Doch der Unfalltod läßt das Spiel um Titel, Besitz und Herz der „Prinzessin“ erneut beginnen.

Dem Erfinder und Drehbuchautor der vielfach prämierten Fernsehserie, Julian Fellowes, erwuchs die Idee bei der Lektüre über die „Freibeuterinnen“, jenen reichen amerikanischen Erbinnen, die ab 1880 englische Adelige ihrer Titel wegen heirateten und deren Herrschaftssitze entschuldeten. Stellvertretend verdankt Blenheim Palace, Stammschloß der Dukes of Marlborough, sein Überleben wesentlich Consuelo Vanderbilts Mitgift in Höhe heutiger vier Milliarden Dollar. Während sich die anderen Charaktere vielfach an von Fellowes noch persönlich erlebte Zeitzeugen anlehnen, repräsentiert Lady Grantham eine dieser Amerikanerinnen.

Amerikanisches Geld     trifft englische Tradition

Das Sujet, amerikanisches Geld trifft englische Tradition, tritt immer wieder auf – ebenso wie die Illustration technischer Neuerungen: Elektrizität, Motorisierung, Telefon. Hauptthema der Serie sind zweifellos die sozialen Umbrüche, die ab 1914 auch, aber nicht nur wegen des Krieges die englische Gesellschaft erschütterten: Frauenemanzipation, Bürgertum statt Adel als politisch dominante Gruppe, sich wandelnde moralische Normen, Industrialisierung sowie der Umbau der Gesellschaft zum „Wohlfahrtsstaat“. 

Letztgenannten hatte die Dowager Countess of Grantham wohl im Sinn, als sie über den Premierminister Lloyd George lästerte, dieser sei so schrecklich, daß sie sich frage, ob er nicht Deutscher sei. Gemessen an ihren Sympathiewerten ist die „Gräfinnenwitwe“ neben dem realen Schloß „Highclere Castle“, welches dem Serien-Palais äußeres wie inneres Antlitz leiht, mit ihrer Verkörperung der Viktorianischen Epoche und als Antipodin des Zeitgeistes die Hauptperson der Serie. 

Wenn allerdings die Handlungen entgegen ihrer historischen Kulisse regelmäßig in modernen Moralvorstellungen enden, mag es fehlendem Autorenmut oder kommerziell motivierter Konzession an das Publikum geschuldet sein.„Downton Abbey“ besticht mit herrschaftlichen Bildern samt opulenter Kostüme. Die gesellschaftlichen Konventionen wie auch die aus heutiger Sicht fast skurril anmutenden Dialoge atmen die kulturelle Tiefe des vergangenen Europa. Fellowes zufolge speist sich der Serienerfolg aus der Sehnsucht nach Regeln, Strenge und Ordnung, speziell in einer unsicheren Welt. Gewöhnlich wird den Anhängern solcher historischen Darstellung aus dem meinungsdominierenden Lager Eskapismus wie auch die Sehnsucht nach einer Welt vorgeworfen, die es nie gegeben habe. 

Der Feudalismus war         besser als sein Ruf

Doch trotz jahrzehntelanger und erfolgreicher Bemühungen breiter links-intellektueller Kreise, den Feudalismus als Knechtschaft und Ausbeutung zu denunzieren, mutet die soziale Verantwortung des Adels in Downton Abbey gegenüber manchen Arbeitsbedingungen in der Globalisierung nahezu paradiesisch an. Als es noch kein Klischee war, wußte man: Adel verpflichtet!

Downton Abbey. Die vierte Staffel läuft jeden Sonntag ab 1. November um 15.05 Uhr im ZDF.