© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

„Funktionaler Zweckbau“
Wiederaufbau: Die Gesellschaft Berliner Schloß fordert mehr historische Rekonstruktionen
Claus-M. Wolfschlag

Das rekonstruierte Berliner Stadtschloß steht bereits im Rohbau. Im Juni wurde Richtfest gefeiert (JF 25/15), und langsam beginnt auch die äußere Ziegelwand mit ihrem barocken Fassadenschmuck den inneren Betonkern zu überdecken. Bei günstigen Wetterbedingungen könnten, laut aktueller Verlautbarung des Fördervereins Berliner Schloß, die privat finanzierten historischen Fassaden bereits im nächsten Jahr vollständig hochgemauert sein. Die fünf äußeren Portale mit ihren Monumentalsäulen hofft der Verein bis Ende 2017 errichtet zu haben. Bis zur Fertigstellung des Gebäudes werden zudem die Innenhöfe teils historisch gestaltet. 2019 soll das ehemalige Stadtschloß als „Humboldt-Forum“ der Öffentlichkeit zugänglich sein und völkerkundliche Dauerausstellungen beherbergen.

Die alte preußische Residenz wird also nur äußerlich wieder erstrahlen, im Inneren werden sich moderne Museumsräume befinden. Nachdem die Gegner des Schloßbauprojekts sich mittlerweile in ihre Niederlage fügen und nur noch gelegentlich über mögliche Kosten für die Allgemeinheit lamentieren, melden sich nun allerdings die Kritiker der anderen Seite. Befürworter der Rekonstruktion ärgern sich beispielsweise im „Stadtbild Deutschland-Forum“ über bislang in den Plänen nicht aufgetauchte moderne Dachaufbauten. Und die Gesellschaft Berliner Schloß wünscht sich hinter der Schloß-Hülle mehr an historischen Innenräumen. Dazu hat sie eine Petition mit klaren Forderungen initiiert. „Das Berliner Schloß entsteht im Innern als moderner funktionaler Zweckbau ohne jegliche Erinnerung an seine kunsthistorisch bedeutenden Räume“, wird darin kritisiert. So würden zum einen nicht die erhaltenen Plastiken Neptunbrunnen und Rossebändiger in den öffentlichen Raum vor dem Schloß zurückkehren. Zum anderen würde auf die Rekonstruktion sämtlicher Innenräume des Schlosses verzichtet.

Diese von Barock und Historismus geprägten Säle bestachen einst durch eine Fülle schmuckvoller Details, von Stuckdecken, Gesimsen, Friesen, Deckengemälden bis zu Wandpilastern, Kaminen, Spiegeln und verzierten Türen. In der Neukonzeption des italienischen Architekten Franco Stella wurden viele der historischen Raumfolgen geopfert, um einem modernen Museumsbetrieb Rechnung zu tragen. Vor allem der unnötige Verzicht auf eine Nutzung des Kuppelraumes, der einstigen Kapelle, schmerzt viele Kritiker.

Die Spendeneinnahmen steigen kontinuierlich

Dafür hat Stella bei einigen bedeutenden Innenräumen bewußt deren Maße eingehalten, so daß es möglich wäre, diese in der historischen Form zu rekonstruieren, darunter den Rittersaal und die Gigantentreppe. Die Gesellschaft Berliner Schloß nennt in ihrer Petition zudem den Schweizersaal.

Sehr reserviert zu dieser Petition äußerte sich nun allerdings Wilhelm von Boddien, Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloß, der maßgeblich die Spendengelder für die historischen Fassaden sammelt: Die Wiederherstellung der Räume sei „eine Aufgabe für spätere Generationen“, der jetzige Verzicht auf die Raumrekonstruktionen Ergebnis eines „demokratischen Kompromisses“. Dabei dürfte Boddien kein prinzipieller Gegner der Wiederherstellung jener bedeutenden Räume sein. Offenbar hat er vor allem die finanzielle Seite im Blick. Erst die Hälfte der für die Außengestaltung nötigen 105 Millionen Euro ist bislang an Spendengeldern eingegangen, wenngleich die Einnahmen kontinuierlich steigen. Eine Rekonstruktion der vier Innenräume könnte nach Schätzungen zwischen 20 und 30 Millionen Euro zusätzlich kosten. Hierzu wären neue großzügige Spender nötig. Die Chance auf etwas mehr an Schloß im Inneren des Humboldt-Forums besteht dennoch allemal.

Gesellschaft Berliner Schloß e.V.

 http://historisches-stadtschloss.de