© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Wo ist denn die vielgepriesene muslimische Umma?“ (Winfried Kretschmann, Grünen-Ministerpräsident, angesichts der Massenflucht von Muslimen aus einigen muslimischen Ländern bei völlig fehlender Bereitschaft zur Hilfeleistung aus anderen muslimischen Ländern)

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Es ist oft genug gesagt worden, daß „Populismus“ mit populus, lateinisch für „Volk“, zu tun hat, und in einer Demokratie, die mit demokratia, altgriechisch für „Volksherrschaft“, zu tun hat, kaum ehrenrührig sein kann. Dasselbe gilt im Prinzip für den „Demagogen“, von altgriechisch demagogos, den „Volksführer“. Nur der Begriff „Volksverhetzung“, den jeder sofort versteht, ist heikel, nicht bloß weil er „Volk“ voraussetzt, sondern auch weil er aus der Mottenkiste des Obrigkeitsstaates stammt, der noch davon ausging, daß der beschränkte Untertanenverstand vor allen Versuchungen geschützt werden müsse.

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„Für den einzelnen und die Gesellschaft ist die Überzeugung, immer recht zu haben, auch wenn die Tatsachen dem widersprechen, der beste Weg zu Verblendung und Erschlaffung; die Überzeugung jedoch immer unrecht zu haben, und sei es auf Kosten der Wahrheit, entmutigt und lähmt. Die Demokratien neigen heute nicht nur zur Selbstbezichtigung, wo sie nicht gesündigt haben, sondern haben die Gewohnheit angenommen, sich an einem so unerreichbaren Ideal zu messen, daß der Schuldspruch unausbleiblich ist. Eine Zivilisation aber, die sich bei allem, was sie ist, bei allem, was sie tut, bei allem, was sie denkt, schuldig fühlt, kann nicht genügend Kraft und Überzeugung mobilisieren, um sich zu wehren, wenn ihre Existenz bedroht ist. Einer Zivilisation tagtäglich einreden, sie sei nur verteidigenswert, wenn sie es fertigbringe, die Inkarnation vollkommener Gerechtigkeit zu werden, heißt sie auffordern, abzusterben oder sich unterjochen zu lassen.“ (Jean-François Revel, 1984)

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Ganz gleich, ob es sich um die Berichterstattung und Kommentierung der öffentlich-rechtlichen oder privaten Sender, der Bild-Zeitung oder der FAZ zur „Flüchtlingskrise“ handelt: deren Tendenz ist mit Nutzenkalkül nicht mehr zu erklären (denn der Zuschauer und Leser goutiert nicht, was man ihm da vorsetzt), das ist einfach die Arroganz der Mächtigen.

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Wer schon immer gewisse Zweifel an der Brauchbarkeit von Politologie hatte, darf sich durch die hilflosen oder ignoranten oder bestellten Erklärungsversuche angesichts der neuen deutschen Unruhe Ost nur bestätigt fühlen. Ganz gleich, ob man die autoritäre Fixierung durch den realexistierenden Sozialismus, den faschistischen Untergrund der DDR oder den Entwicklungsrückstand nach der Wiedervereinigung bemüht, nichts davon geht auf den Kern der Sache. Den hat man in Gestalt eines vitalen und selbstverständlichen Nationalgefühls, eines Widerwillens gegen Meinungsmache und bestimmte Züge der westernization und eines für Deutsche ganz erstaunlichen Maßes an Skepsis gegenüber den Herrschenden.

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Deutsches Gedenken A: Beispielspielsweise eine nordhessische Mittelstadt; Phase eins (unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs): Gedenken an „unsere Gefallenen“; Phase zwei (2006): Gedenken an die vertriebenen und ermordeten jüdischen Mitbürger, an die Opfer unter den russischen Zwangsarbeitern und die Ziviltoten; Phase drei (2011): Gedenken an verfolgte Roma und Sinti, Behinderte, Homosexuelle und alle, die in der NS-Zeit ausgegrenzt wurden.

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Deutsches Gedenken B: 1972 wurde auf der Festung Ehrenbreitstein (Koblenz) das „Ehrenmal des Deutschen Heeres“ errichtet, zur Erinnerung an die Gefallenen beider Weltkriege, die ihr Leben „für Deutschland“ gegeben haben, 2006 wurde das Monument ergänzt um eine Metalltafel für die Toten der Bundeswehr, die für „Frieden, Recht und Freiheit“ gestorben sind.

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Eiche rustikal und gelblich getönte Innenverglasung, butzenartig, Möbel im Dürerstil, Geweihe an der Wand und Plastikblumen auf den Tischen, eine Tapete mit unbeschreiblichem Barockmuster, gewebte Tischdecken samt Zierborte und Troddeln an den Vorhängen, das getigerte Oberteil der überforderten Kellnerin und die Turnschuhe mit glänzendem Applikat an ihren Füßen, sehr viel Rentnerbeige und -grau, Pullunder und Dauerwelle, nebenan die Reisegruppe auf Kaffeefahrt, wahrscheinlich mit Heizdeckenverkauf, aber dann die beste Forelle Müllerin, die man sich denken kann. Erwägung: Vielleicht geht das eine nicht ohne das andere.

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Der sich verschärfende Ton gegenüber der Opposition von rechts hat natürlich auch damit zu tun, daß die Etablierten befürchten müssen, einen Teil ihrer Positionen zu verlieren, und es geht darum, daß die gewohnte Behauptung, derlei Bewegungen oder Parteien hätten eigentlich gar keine Entstehungsursache, Tag für Tag an Überzeugungskraft verliert.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 13. November in der JF-Ausgabe 47/15.