© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

Ein Fall für Kommissar Maigret
Ein in Frankreich erschienenes Buch stellt den belgischen Schriftsteller Georges Simenon unter NS-Verdacht
Richard Stoltz

Die Gegenwartsaufseher und Vergangenheitsbewältiger schrecken vor nichts mehr zurück. Jetzt haben sie den allseits beliebten Kommissar Maigret am Wickel, genauer: den belgischen Schriftsteller Georges Simenon (1903–1989), der die Figur Maigret anno 1929 erfand und in fünfundsiebzig Bänden zu internationalem Ruhm führte. Dieser Simenon, heißt es in einem soeben in Paris bei Grasset erschienenen Buch, sei ein Nazi gewesen, und es werde endlich Zeit, das einzusehen und daraus Konsequenzen zu ziehen. Die Schwarte wurde sofort für den angesehenen Prix Renaudot nominiert.

Ihr Autor heißt Patrick Roegiers und ist bisher als Verfasser einiger höchst mittelmäßiger Komödien für Pariser Amüsierbühnen hervorgetreten. Was hat er gegen Simenon vorzubringen? Nun, Simenon sei während des Zweiten Welkrieges trotz deutscher Besatzung ganz gemütlich an seinem Wohnort im französischen La Rochelle sitzen geblieben und habe weiter Romane geschrieben. Das genüge an sich schon, um ihn aus der Gemeinschaft der anständigen Leute auszuschließen.

Außerdem habe er einen jüngeren Bruder gehabt, Christian, der – genau wisse man es freilich nicht – unter Léon Degrelle in dem der deutschen Wehrmacht angeschlossenen Bataillon „Wallonien“

diente. Nach dem Krieg sei der Bruder in die französische Fremdenlegion eingetreten und habe „wahrscheinlich“ in Indochina gekämpft. Warum habe sich der vielfache Millionär Simenon nicht von diesem brüderlichen Früchtchen distanziert? Fragen über Fragen.

Für den erstaunten Leser bleibt von allen Fragen allerdings nur eine einzige übrig: Wie kommt ein Komödienschreiber des Jahres 2015 dazu, einen solchen Unfug wie das Buch „L’autre Simenon“ unter die Leute zu bringen? Wollte er sein Komödiantentum herauskehren und sich einen Spaß machen? War er eifersüchtig auf einen um so viel erfolgreicheren Kollegen? Oder hat da einer einfach mit der Wurst nach der Speckseite geschmissen? Kommissar Maigret, übernehmen Sie!