© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

Kaczynskis Durchmarsch
Polen hat rechts gewählt: Die Konservativen wechseln aus der Opposition in die Alleinregierung
Christian Rudolf

In der Parteizentrale der PiS an der Nowogrodzka-Straße im Zentrum Warschaus. Adler-Wappen und Kreuz hängen über dem Eingang des prallgefüllten Saales. Die Stimmung ist froh und erwartungsvoll. Nach Bekanntwerden der Ergebnisse aus der Nachwahlbefragung, die die Partei von den Oppositionsbänken des Sejm in die mögliche Alleinregierung katapultieren, bricht sich riesiger Jubel Bahn, spontan singen die Anhänger der sozialkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit die Nationalhymne. Wen wundert es: Die Gruppierung des früheren Premiers Jaroslaw Kaczynski hat zehn Jahre lang auf diesen Wahlsieg hingearbeitet.

„Herr Präsident, ich melde Vollzug!“

Als die Spitzenkandidatin und Parteivizechefin Beata Szydlo zusammen mit Kaczynski, den alle nur den „Prezes“, den „Vorsitzenden“ , nennen, die Bühne betritt, wirkt sie ruhig und selbstbewußt. Vielleicht ist es ihrer zurückhaltenden Art geschuldet, daß sie nur mit geschlossenen Lippen lächelt. Vielleicht spürt sie auch, daß sie im Schatten des übermächtigen Vorsitzenden steht. Die 52jährige, die aus einer Bergarbeiterfamilie stammt, dankt den Wählern und bleibt auf dem Teppich. „Wir sind nicht anders als jeder Bürger. Wir haben den Bezug zur Realität nicht verloren. Wir sind dahin gegangen, wo die Leute leiden.“ Szydlo hatte im Wahlkampf auf soziale Themen und eine katholische Werteorientierung gesetzt, den Arbeitnehmern Steuersenkungen und den Alten die Rückkehr zum Renteneintrittsalter von 65 Jahren für Männer und 60 für Frauen versprochen.

Die mit Pauken und Trompeten abgewählte Regierung der Bürgerplattform (PO) von Donald Tusk und zuletzt Ewa Kopacz galt mehr und mehr als Partei des Establishments, abgehoben über der Lebenswirklichkeit der hart arbeitenden Menschen schwebend. Viele Skandale, darunter die Abhöraffäre (JF 27/14) und das schwächliche, undurchsichtige Agieren im Komplex rund um den nicht aufgeklärten Absturz der Präsidentenmaschine im russischen Smolensk im April 2010 hatten das Vertrauen der Bürger bröckeln lassen. Szydlo war einer breiteren Öffentlichkeit erst als Organisatorin der siegreichen Präsidentschaftswahlkampagne Andrzej Dudas bekannt geworden, woraufhin sie die Partei zur Spitzenkandidatin erkor.

Das Publikum skandiert immer wieder „Ja-ro-slaw!“ sowie „Lech Kaczynski!“, den Namen des früheren Staatspräsidenten. Gleich in seinem ersten Satz kommt Kaczynski auf seinen toten Bruder zu sprechen, und die Genugtuung ist ihm anzumerken. Ohne ihn „wären wir nicht hier“, ohne ihn gäbe es „keine vereinte Rechte“. „Wie er mir vor zehn Jahren Meldung machte: ‘Herr Vorsitzender, ich melde Vollzug’, so melde auch ich heute: ‘Herr Präsident, ich melde Vollzug’.“ 

Erstmalig seit 1989 kann eine Partei alleine regieren

Nach den Prognosen könnte die PiS mit fünf Stimmen Mehrheit im Sejm regieren. Aber dem Parteichef schwebt Größeres vor: Kaczynski ruft zur Bildung eines breiten „weiß-roten Lagers“ der vereinten Rechten im Parlament auf. „Wir reichen allen denen die Hände, die Polen verändern wollen.“ Ein klares Signal, daß die Sozialkonservativen die verfassungsändernde Mehrheit im Auge haben. Dazu sind indes 307 Abgeordnete im Sejm nötig. Selbst wenn Szydlo mit dem rechtsgerichteten ehemaligen Rockmusiker Pawel Kukiz koalieren würde, dessen Partei aus Hardcore-Nationalisten und radikalen Systemopponenten aus dem Stand mit 8,8 Prozent drittstärkste Kraft wurde, fehlten immer noch 32 Stimmen daran. Kukiz, der an der Wahlurne in einem T-Shirt der verfemten Soldaten (JF 42/15) und Victory-Zeichen auftrat, hatte bereits durchblicken lassen, daß er dafür offen wäre.

Im Laufe des darauffolgenden Montags wurde klar: Zum ersten Mal seit 1989 haben die Wähler einer einzigen Partei überdeutlich den Vorzug gegeben. Die PiS siegt mit dem besten Ergebnis ihrer Geschichte und erreicht landesweit 37,6 Prozent der Stimmen. Die Liberalkonservativen kommen nur auf 24,1 Prozent und sackten um 15,1 Punkte gegenüber 2011 ab. Obschon im Karpatenvorland die PiS 53,5 Prozent errang sowie in Kleinpolen über 60 Prozent, gibt es die Teilung des Landes in einen liberalen Westen und konservativen Osten nicht mehr. Die abgewählte Premierministerin Ewa Kopacz räumte fast trotzig ihre Niederlage ein: „Die vergangenen acht Jahre waren keine verlorenen Jahre. Polen ist heute ein besseres Land als damals.“ Bei der Neuwahl der Parteiführung Anfang kommenden Jahres bewirbt sie sich gar nicht erst wieder.

Als weiterer Koalitionspartner käme die Bauernpartei (PSL) in Frage, die bereits vor zehn Jahren während der ersten PiS-geführten Regierung als Mehrheitsbeschaffer diente und zuletzt mit der PO regierte. Mit einem schlechten Ergebnis von 5,1 Prozent (minus 3,3 Punkte) kam sie der Fünfprozenthürde gefährlich nahe. Neu ins Parlament zieht die erst im Mai gegründete Partei „Die Moderne“ des wirtschaftsliberalen Ökonomen Ryszard Petru ein, der mit 7,6 Prozent mehr als ein Achtungserfolg gelang. Die sozialistisch-grüne Vereinigte Linke scheiterte hingegen mit 7,6 Prozent an der Acht-Prozent-Hürde für Wahlbündnisse. Dem neuen Sejm werden damit erstmals weder die postkommunistischen SLD-Abgeordneten noch überhaupt dezidiert linke Kräfte angehören.